Auf den Schwingen der Hölle - [ein Norwegen-Krimi]
letzten Zipfel einer Insel, wo die Zahl der Touristen sicher gering sein würde. Im Schutz der Dünen würde er unbeobachtet graben können und so tief, dass kein Hund je eine Witterung der Leiche aufnehmen könnte. Sein Spaten würde dort im Sand leicht in den Boden eindringen können, allerdings, und das war eine unangenehme Vorstellung, müssten er und Sarah mit dem Toten im Kofferraum zu diesem entlegenen Ort gelangen, und die Fahrt würde somit zu einem unberechenbaren Risiko werden, gewiss, aber er musste eben so besonnen fahren, dass er bei keiner Verkehrskontrolle auffiel und er durfte auch an keinem Unfall beteiligt sein.
Wieder hob er das Glas an die Lippen. Whisky war das beste Getränk, das es für ihn gab, dieses Getränk beruhigte, immer, war eine Droge für ihn, ohne Zweifel.
Er schnalzte mit der Zunge und rieb sich bedächtig mit dem Zeigefinger der rechten Hand das Kinn, er fühlte sich so gut wie lange nicht mehr und sehr stark, wie damals als Fallschirmjäger, bevor er aus dem Flugzeug sprang, auf dem Weg zu einem ungewissen Einsatz, der ihn aber magisch anlockte – es war der irre Rausch der Gefahr gewesen, bei jedem Mal, ein Glücksgefühl, das man nirgendwo sonst spüren konnte.
Akribisch planen würde er auch diese Fahrt, so, wie er alle ihre Reisen zuvor geplant hatte, etwa nach Island, in die Bretagne, in die Provence oder die Toskana, dabei nicht das kleinste Detail missachten, er würde das Zelt mitnehmen, den Gaskocher, das Campinggeschirr und Spaghettigerichte in großer Zahl, denn Norwegen galt als teures Land und sie würden selber kochen müssen. Den Spaten dürfte er auf keinen Fall vergessen, und die beiden Schlafsäcke wären eine wertvolle Hilfe für einfache und billige Unterkünfte.
Entschlossen erhob er sich. Und er wusste: In drei Tagen werde ich mit Sarah am Fährhafen in Skutvik sein!
Unruhig ging er im Zimmer auf und ab, ehe er nachdenklich vor dem Foto seiner Tochter verharrte, das neben dem Sekretär hing: Ihre Augen, die ihn anblickten, spitzbübisch und strahlend, als wären sie voller Leben, waren seine Augen.
»Ich werde sein tödliches Schicksal sein, mein Liebling«, sprach er in diese Augen hinein.
Zwei Atemzüge lang war es ihm, als ob sich ihre Lippen bewegen wollten, und er fühlte sich seiner Tochter unendlich nahe, so, als würde ihm der Hauch ihres Atems entgegenwehen. Und sein ganzer Körper bebte von dem Schluchzen, das aufwallte in seiner Kehle.
Mit Sarah an seiner Seite jagte er im Auto Sassnitz entgegen und der Fähre nach Trelleborg.
Voller Unruhe lief er dann er später auf dem Fährschiff auf und ab, weil ihm die Überfahrt endlos erschien. Nach der Landung hetzte er mit dem Auto weiter und weiter, durch Schweden, wo sie in einer Touristenhütte übernachteten, dann durch Norwegen, an Oslo vorbei, Kilometer um Kilometer. Sie wechselten nur wenige Worte während dieser unaufhaltsamen Fahrt, eine bedrückende Stille schloss sie beide ein, die keiner brechen wollte, denn mit ihnen im Auto fuhr der Tod, als stummer und unsichtbarer Begleiter.
Irgendwann aber wünschte sich Sarah mit leiser Stimme und zu seiner großen Verwunderung ihre Gothic Metal Music, und er war überrascht, dass sie an ihre CDs gedacht hatte in all der Hektik der Vorbereitungen. Nur begriff er nicht, dass sie ihren Wunsch erst jetzt äußerte. Es gab in Sarahs Sammlung durchaus CDs, die ihm wirklich gefielen, besonders eine, die nun in ihrer Hand lag, versehen mit dem Foto eines Konzertes auf der Schutzhülle – eine Band spielt bei Nacht im rötlichen Licht am Fuße eines drohend und geheimnisvoll wirkenden Berges, dessen Spitze sich in einen blutroten Himmel zu bohren schien. Die Arme des Publikums, die ihrer Band zujubelten, waren verzückt nach oben gereckt. Und so wie Sarah und diese Fans liebte auch er die klare und gewaltige Stimme der Frontfrau, die ihm in jeder Lautstärke vertraut war. Er bedauerte, dass diese Frau der Band nicht mehr angehörte, mit ihrem schönen Gesicht, von ihren langen dunklen Haaren umweht, mit den vollen Lippen, lila geschminkt.
Dann dröhnte die Musik im Auto, und er empfand sie als passend für die Stimmung, die ihn erfüllte.
Wie auf Schwingen scheint uns diese Musik zu tragen, dachte er unvermittelt. Schwingen der Hölle, in welcher Emmerlein enden wird.
Er war überrascht, welche Gedanken die Musik in ihm auslöste. Unversehens kamen ihm zwei Zeilen aus Dantes Höllengesängen in den Sinn und als er sie aussprach, mitten in die
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