Auf den Schwingen der Hölle - [ein Norwegen-Krimi]
I
Die Jagd
Es war ein ganz besonderer Morgen für Bachmann, als er sich zu Sarah an den kleinen runden Tisch in der Küche setzte, in dessen Mitte ein Strauß frischer Blumen stand.
Heute war Manus Geburtstag. Manu, die seit neun Jahren an diesem Tisch fehlte und doch immer da war. Aber nicht nur deshalb war er so erregt, sondern weil er an diesem Vormittag eine Nachricht erhalten sollte von diesem Privatdetektiv, der Schneider hieß. Es musste eine äußerst wichtige sein, da Schneider sie ihm nicht am Telefon hatte verraten wollen.
Bachmann ahnte, was er erfahren würde. Plötzlich zitterte das Messer in seiner Hand, fiel auf den Teller. Sarah hob leicht die Brauen, musterte ihn kurz, aß jedoch schweigend weiter, beim Frühstück schwiegen sie ohnehin. Unter ihren Augen fielen ihm die dunklen Ringe auf, und ihr Gesicht wirkte wächsern. Sie hat wieder eine depressive Phase, dachte er besorgt, da war es sowieso ratsam, sie nicht anzusprechen.
Sarah war fünf Jahre jünger und viel kleiner als er, trug ihr braunes Haar schulterlang, in dem, da sie es tönte, ein rötlicher Schimmer lag, den er sehr mochte. Ihre schlanke Gestalt und die Jeans ließen sie jünger wirken, viel jünger als sie tatsächlich war und die fünfundvierzig Jahre ihres gelebten Lebens sah ihr niemand an. Sie hatte eine kleine gerade Nase, bei der man glauben konnte, ein Schönheitschirurg hätte sie modelliert, und ihre Augen hatten eine lavendelblaue Farbe, waren sehr groß und auffallend schön, aber seit Manus Tod lag Trauer in ihnen, die nie weichen wollte, und oft wirkten sie teilnahmslos und leer. Man konnte sie von weitem und besonders dann, wenn man sie von hinten sah, noch immer für eine junge Frau halten mit ihrem so schönen Po in den engen Jeans, die sie gern trug.
Nach dem Frühstück wuschen sie gemeinsam ab und dann ging er zum Sekretär im Wohnzimmer. Stehend blätterte er auf dessen Schreibplatte in einem neuen Magazin, das ›Gothic‹ hieß und Sarah gehörte, ohne eigentlich zu wissen, was er darin suchte, aber er wollte wohl einfach nur, dass die Zeit schneller verging. Die schwarze Szene aber war ihm durch Sarah längst nicht mehr fremd, eher vertraut.
Dann endlich, nach einem flüchtigen Blick auf das Zifferblatt seiner Uhr, schlüpfte er in seinen blassgrünen Anorak mit den vielen Taschen.
»Ich bin zum Essen zurück, ich treffe einen Bekannten«, sagte er wie beiläufig zu Sarah, und eine jähe Anwandlung drängte ihn, mit der Hand ihre Wange zu streicheln, doch er tat es nicht.
Er schritt am Café Riquet vorbei und den großen Elefantenköpfen mit den gewaltigen Stoßzähnen über dem Eingang, passierte dann den Marktplatz und sah schon die Grünanlage vor der Buchhandlung, wo ihn der Detektiv auf einer Bank erwartete – ein Mann, dem man seinen Job nicht ansah, denn er wirkte eher wie ein kleiner Buchhalter, der zwischen Zahlen und Bilanzen lebte.
Schneider begann sofort zu sprechen, nachdem Bachmann wortlos neben ihm Platz genommen hatte.
»Heiko Emmerlein ist draußen! Man hat ihm von den zehn Jahren ein ganzes Jahr erlassen. Im Gefängnis erhielt er ja, wie ich Ihnen schon berichtete, eine Berufsausbildung und dadurch nach der Haft einen Arbeitsplatz in Bochum.«
Schneider hielt einen Augenblick inne, ehe er fortfuhr. »Seine Sexualtherapie wird als erfolgreich eingestuft, aber trotzdem stand er unter Führungsaufsicht nach der Entlassung, musste sich anfangs wöchentlich bei seiner Bewährungshelferin melden. Er soll sich dabei und auch an seinem Arbeitsplatz sehr vorbildlich verhalten haben und in seinen sexuellen Aktivitäten nicht auffällig geworden sein. Von seiner Schwester erhielt er seinen Anteil an einer Erbschaft, eine schöne Summe, dreißigtausend Mäuse. Seit kurzem hat er sogar einen Führerschein.«
Und plötzlich blickte Schneider ihn verschwörerisch an, so, als ob er ihm etwas Besonderes verriet, das zeigen sollte: Ich bin das Geld wert, was ich verlange.
»Und nun durfte er eine Reise antreten, mit dem Auto, eine Reise auf die Lofoten, zum Angeln. Sie müssen bedenken: Er hat viele Jahre lang nur aus einem Gefängnisfenster geblickt, nun will er die endlose Weite erleben, nun will er, wie seine Bewährungshelferin mir erzählte, in kleinen Fischerdörfern wohnen, über die er in der Haft viel gelesen habe und sich nur dem Angeln widmen und dabei die absolute Freiheit spüren. Von der Hauptstadt der Lofoten aus will er sich dann einfach treiben lassen, ohne ein festes, ihm
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