Auf den Schwingen der Hölle - [ein Norwegen-Krimi]
Musik hinein, ruhten Sarahs Augen auf ihm, überrascht und nachdenklich: »Ich führe euch – er riefs aus rauer Kehle – zur ewgen Finsternis, zu Glut und Eis«.
Hier und jetzt, dachte er, schlagen unsere Herzen wie ein einziges Herz. Und eine große innere Zuneigung erfüllte ihn.
Weit über zweitausend Kilometer waren sie schon gefahren, hatten in kleinen Holzhütten übernachtet und ihre Spagetti zubereitet am Rand der Straßen und auf Parkplätzen. Längst lag der Polarkreis hinter ihnen, als sie ihn endlich erreichten, den Hafen von Skutvik.
Behutsam lenkte er seinen dunkelgrünen Mazda in den Bauch des Fährschiffes, das sie zu den Inseln bringen sollte, die man Lofoten nannte, und die er nur von den Fotos aus den Reiseführern kannte, mit den steil in den Himmel ragenden Bergen und den Pfahlhäusern am Meer und an den Ufern tiefer Fjorde.
Die Autos standen dicht an dicht, und so schlug seine Fahrertür leicht an die Seitenwand eines weißen Audis, als er ausstieg.
Er fluchte leise, doch als er nachschaute, sah er, dass kein sichtbarer Schaden entstanden war. Auch Sarah hatte das Auto verlassen und reckte sich ausgiebig, froh, dem Folterstuhl Beifahrersitz entronnen zu sein nach dieser schier endlos scheinenden Fahrt.
Er verschloss das Auto und zwängte sich durch die schmalen Gänge zwischen den parkenden Fahrzeugen, um zu der stählernen Treppe zu gelangen, die hinaufführte zum Oberdeck, und er vernahm Sarahs Schritte hinter sich. Fröstelnd standen sie dann, Schulter an Schulter, an der Reling des Schiffes. Die Ärmel seiner Jacke hatte er über seine Hände gezogen, hielt sich so an dem kalten Eisen fest, und sein Blick schweifte über das Wasser, dessen Wellen gegen die Bordwand brandeten mit zerberstendem weißem Schaum. Er musterte Sarah aus den Augenwinkeln, doch ihr Gesicht wirkte ausdruckslos. Was mochte sie denken?
»Mir ist kalt«, gestand sie leise.
Er nickte bejahend, denn auch ihn fröstelte es.
»Komm«, sagte er und legt den Arm um ihre Schultern. Sein letzter Blick galt der Ferne, in der sie wohl bald die Inseln sichten würden. Sie verließen das Deck, da der Wind mehr und mehr zunahm, stiegen wieder zu ihrem Auto hinab, um sich in die Sitze fallen zu lassen. Irgendwann schlief er ein, wurde aber plötzlich von Geräuschen wach, zuschlagenden Autotüren. Das Ziel der Fahrt musste wohl nahe sein, dachte er und war sofort hellwach.
Sein Blick glitt zu Sarah. Und er stutzte, denn ihr Profil war das Profil seiner Tochter, noch niemals war ihm das je so deutlich bewusst gewesen, wie in diesem Augenblick. Fest presste er seine Lippen aufeinander und sein Herz schlug immer heftiger.
Nur noch zwei Tage könnten ihn trennen von der Rache, nicht mehr, wenn er Emmerlein rasch aufspürte, und beharrlich würde er ihn jagen, unerbittlich, ohne Sarah und sich selbst zu schonen. Leid aber tat sie ihm, unendlich leid, und es war ihm, als wollte sein wild pochendes Herz aus seinem Brustkorb springen. Da jedoch dachte er an den Augenblick, als der Polizist es zurückschlug, dieses Laken, unter dem Manu lag, mit Augen, in denen kein Leben mehr war.
Sein Mitleid erstarb jäh.
Und er bebte am ganzen Körper vor Hass.
Aber die Rache war so nah, unendlich nah.
Und sein engster Weggefährte war der Tod.
Und selbst die Hölle fürchtete er nicht.
Sie würde die Strafe sein für seine Tat, wenn es sie geben sollte, in welcher Art auch immer.
Und sie würde keine Hintertür haben.
Sie würde endlos sein mit all ihrem Grauen.
Das war ihm bewusst.
Doch auch dieses Wissen schreckte ihn nicht.
In düsterer Pracht lag er vor ihnen in der Ferne, der Lofotenwall, diese Bergkette und gewaltige Granitbastion aus senkrechten Wänden, mit unzähligen Gipfeln, spitzgezackt und bizarr. Der steife Nordwestwind führte Wolkenfetzen heran, die grau waren und so flach dahin trieben, dass man über ihnen schon wieder ein schwarzgraues Gewölk sah, hinter dem die Sonne verschwand. Es war eine seltsam bedrohliche Stimmung, auch Sarah empfand sie wohl ähnlich, denn sie drängte sich plötzlich an ihn, als ob sie bei ihm Schutz suchen wollte an der Reling des Fährschiffes. Eine tiefe Welle der Zuneigung durchflutete ihn, die er lange nicht mehr so intensiv gespürt hatte. In welches Verderben ziehe ich sie hinein, dachte er unvermittelt, aber den Gedanken verwarf er sofort, denn er würde ihre Hilfe benötigen oder auch nur ihre Nähe, bei dem, was er tun wollte, er brauchte sie wie nie zuvor in all den Jahren,
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