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Auf der Sonnenseite - Roman

Auf der Sonnenseite - Roman

Titel: Auf der Sonnenseite - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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könne? Es sei ihnen doch versprochen worden…
    Der leicht füllige, glatt gescheitelte, freundliche Herr im gut sitzenden grauen Anzug riet ab. »Alles, lieber Herr Lenz, nur keinen Druck! Dann stellen die da drüben sich doch erst recht stur. Vertrauen Sie uns! Wir tun alles, was in unseren Kräften steht.«
    So übten sie keinen Druck aus, wandten sie sich nicht an die Medien. Solange der Staat da drüben die Kinder hatte, waren sie erpressbar.
    Es wurde Weihnachten und auch die Voraussage Dr. Vogels erfüllte sich nicht; Silke und Micha waren noch immer im Heim. Heiligabend blieb ihren Eltern gar nichts anderes übrig, als sich mit einer Flasche Kognak vor den Fernseher zu setzen. Auf welche Weise hätten sie dieses Kinderfest – nun schon das zweite ohne Silke und Micha – denn sonst totschlagen sollen?
    In seiner Kindheit hatte Lenz gelernt, sich sein Leben selbst zu organisieren. Die Nachkriegswelt der Erwachsenen, die in der Kneipe seiner Mutter ihr Überleben und das große Vergessen feierten, gefiel ihm nicht, doch war sie, wie sie war, er konnte sie nicht ändern. Er konnte sich ihr nur verweigern. Und so war er früh seine eigenen Wege gegangen, egal, ob die Erwachsenen in seiner Umgebung diese Art von Selbstständigkeit gern sahen oder nicht. Jetzt war er selber ein »Erwachsener« – und es gab keine Ausweichmöglichkeit; Hannah und er waren den anonymen Bürokraten, die sie zu Feinden erklärt hatten, hilflos ausgesetzt.
    Lenz gab sich Mühe, Hannah Mut zuzusprechen. Erfolglos. Nie zuvor hatte er sie so traurig gesehen wie an jenem Heiligabend; nicht im Gerichtssaal, als das Urteil verkündet worden war, jene entsetzlich langen zwei Jahre und zehn Monate, nicht während der beiden Male, als er ihr im Gefängnis während eines »Sprechers« für wenige Minuten hatte gegenübersitzen dürfen. Die Zeit des Wartens, Bangens und Hoffens erschien ihr jetzt, da sie frei war, weitaus grausamer als jene endlosen Gefängnistage, die sie hinter sich hatte. In der Zelle war sie bewegungsunfähig gewesen; sie hatte gewusst, sie konnte nichts tun. Nun glaubte sie, unbedingt etwas tun zu müssen, und war doch nicht weniger ohnmächtig als zuvor. Ein Gefühl, das sie zu erdrücken schien.
    Im neuen Jahr versuchten sie krampfhaft, sich abzulenken. Mit Arbeitssuche, Führerscheinprüfungen, Möbelkauf.
    Die Kinderzimmer! Wenn die Kinder kamen, sollte jedes sein eigenes, gemütlich eingerichtetes Zimmer haben. Unwichtig, dass ihnen noch so viel anderes fehlte; jedes gekaufte Stück für Silke und Micha war ein Trost, eine Hoffnung und ein Versuch der Wiedergutmachung.
    Zwischendurch weitere Berlin-Flüge. Zu Rechtsanwalt Stange. Erneute Bitten um Geduld. »Wir tun alles, was in unserer Macht steht.« Dann, endlich, das lang ersehnte Telegramm – und er, Manfred Lenz, spazierte durch Ceausescus Bukarest, im Rücken die wohl nicht wirklichen, aber doch gefühlten Blicke von Ceausescus Geheimpolizei, der Securitate, während Hannah, hoffentlich, hoffentlich, längst die Kinder in den Armen hielt.
    Einen Tag bevor er zurückflog, machte Lenz dann noch einen Besuch. Ein junger Arbeiter von Willgruber & Dietz , jener Firma, bei der Lenz angestellt war, hatte ihn gebeten, seiner Familie ein Päckchen zu bringen. Der junge Rumäne, der eine geglückte Flucht in den Westen hinter sich hatte, durfte seine Eltern nicht besuchen, wenn er nicht für Jahre in Ceausescus Gefängnissen verschwinden wollte. Seit er von Lenz’ geplanter Reise gehört hatte – allerdings ohne von dessen Geschichte zu wissen –, wollte er die günstige Gelegenheit nutzen, der Familie im fernen Bukarest eine kleine Liebesgabe zukommen zu lassen.
    Lenz hatte nur kurz gezögert, dann hatte er das Päckchen eingesteckt. War ja nichts drin außer Schokolade, Zigaretten und Strumpfhosen.
    Am Bukarester Stadtrand lebte sie, die zu besuchende Familie, in einer ärmlich wirkenden Schrebergarten-Kolonie. Weit und breit alles still, keine Menschenseele zu entdecken. Auch hatte kein Wagen das klappernde Taxi verfolgt, mit dem Lenz sich in diese abgelegene Gegend hatte kutschieren lassen. So schritt er denn bald durch das an Berliner Nachkriegszeiten erinnernde Gärtchen voller Kürbis-, Bohnen- und Tomaten-Beete und wurde von der Familie seines jungen Kollegen empfangen, als wäre er eigens vom Himmel herabgestiegen, um sie mit einer frohen Botschaft zu erfreuen. Eine gut gemeinte Freundlichkeit, der er sich so wenig entziehen konnte wie dem scharfen

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