Bruderdienst: Roman (German Edition)
ERSTES KAPITEL
Am Ende der chaotischen Tage, als sicher schien, dass der Planet morgen noch existieren würde, kam das große Aufatmen, und man machte sich daran, Bilanz zu ziehen. Dabei gelangte man zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Im Wesentlichen gab es zwei Fraktionen. Die Gegner des Geheimdienstes behaupteten steif und fest, die Truppe des BND mit ihrem Chef Krause habe unendliches Glück gehabt, mit vollen Händen in den dicken Schlamm gegriffen und ausgerechnet das gefunden, was sie zu finden gehofft hatte. Die Befürworter des Dienstes waren dagegen der Meinung, dass allein die genialen Projektionen und Rückschlüsse der Profis die Katastrophe abgewendet hätten.
Diejenigen, die die nervtötende und zuweilen brutale Arbeit verrichtet hatten, schwiegen, was ihnen prompt als Arroganz ausgelegt wurde. Dabei wurde übersehen, dass Geheimdienstler niemals an die Öffentlichkeit treten. Übersehen wurde auch, dass den Opfern, die diese Affäre gekostet hatte, zu keinem Zeitpunkt die letzte Ehre erwiesen worden war.
Die ganze Geschichte begann an einem Montagmorgen, ziemlich exakt um 8.30 Uhr. Krause bereitete eine Konferenz vor, die am folgenden Morgen stattfinden sollte und bei der es um gewisse heikle Vernehmungen in Guantanamo gehen würde. Das ungesicherte grüne Telefon auf seinem Schreibtisch läutete.
»Ja, bitte?«, meldete er sich, verärgert über die Störung.
»Spreche ich mit Wiedemann?«, fragte eine männliche Stimme.
»So ist es. Und wer sind Sie?«, fragte Krause.
»Mein Name tut hier nichts zur Sache«, entgegnete der Anrufer. »Ich habe vorletztes Jahr auf einer Konferenz in Frankfurt einen Vortrag von Ihnen gehört. Es ging um Sicherheit im Bereich der Industrie, und Sie baten darum, angerufen zu werden, falls uns in unserem Tätigkeitsbereich irgendetwas Ungewöhnliches auffiele.«
»So formuliere ich das in der Regel«, bestätigte Krause. »Und worum genau geht es?«
»Um einen Auftrag aus Nordkorea«, sagte der Mann. »Also des Staates Nordkorea, genauer gesagt.«
»Oha!« Krause klang jetzt aufmerksamer. »Was wurde denn in Auftrag gegeben?«
»Also, bestellt wurden dreihundert Einheiten, um genau zu sein, dreihundert Autos. Und, ehrlich gesagt, haben wir uns erst einmal kaputtgelacht.«
Krause ließ zehn Sekunden vergehen, ehe er amüsiert reagierte: »Das Geld dafür werden Sie nie kriegen, das können Sie abschreiben. Und ich kann es Ihnen auch nicht beschaffen.«
»Ja, ja, das dachten wir anfangs auch. Aber seit gestern sind wir um einundzwanzig Millionen Euro reicher.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Krause interessiert.
»Nordkorea hat den Mengenrabatt gleich eingerechnet und für einen Wagen siebzigtausend Euro veranschlagt, mal dreihundert macht das einundzwanzig Millionen. Das heißt, die Ware wurde im Voraus bezahlt.«
»Ist das denn normal?« Krause wusste, dass die Frage von sträflicher Naivität war, aber er brauchte Zeit, um die Flut seiner Gedanken zu ordnen.
»Keineswegs, und schon gar nicht bei den Nordkoreanern. Der Staat ist doch pleite. Ich habe hier eine Liste der schwarzen Löcher, wie wir das nennen. Und Nordkorea gilt in Geschäftskreisen unbestritten als das schwärzeste Loch auf dem Globus.«
Krause brauchte noch mehr Zeit zum Nachdenken, also sagte er: »Sie sollten sich über das Geschäft freuen.«
Der Mann gluckste erheitert. »Das tun wir auch, Herr Wiedemann, das können Sie glauben. Die Frage ist nur: Woher stammt das Geld?«
»Eins nach dem anderen, bitte. Sie sagten, es gehe um dreihundert Autos, richtig? Was sind denn das für Autos?«
»Ausgesprochen gute. Die S-Klasse. Es geht um den S-420-CDI, ein Achtzylinder-Diesel mit 320 PS, langer Radstand. Da kostet einer ohne ein einziges Extra schon achtzigtausend Euro.«
»Von wem kamen denn die einundzwanzig Millionen?«
»Von der China-International«, sagte der Mann. »Aber die Chinesen würden den Nordkoreanern doch keine einundzwanzig Millionen schenken, oder?«
»Sie nehmen also an, die Nordkoreaner haben plötzlich Cash?«, murmelte Krause.
»Genau das. Und deshalb rufe ich an.«
»Kann ich das Ganze schriftlich haben? Ohne Unterschrift natürlich. Auf einer Seite ohne Briefkopf?«
»Ja, das geht klar«, sagte der Mann nach kurzem Zögern.
»Und vielen Dank auch.« Nachdem Krause das Gespräch beendet hatte, sagte er laut in die Stille seines Büros: »Macht mir nicht das Hemd am Flattern!« Zuweilen fiel er haltlos in das Idiom seiner Vaterstadt zurück, aber
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