Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
verrät auf den ersten Blick, worum es geht: Die Sendung ist ein Spiel mit Gefühlen, in dem Selbstdarstellung und Schlagfertigkeit alles entscheiden. Drei Männer werben um Cheryls Gunst. Cheryl kennt keinen von ihnen, weiß nicht, wie sie aussehen, wie alt sie sind, was sie beruflich machen oder wie sie heißen. Die Männer sitzen hinter einem Sichtschutz, unsichtbar für Cheryl. Allein mit Worten versucht jeder von ihnen, die junge Frau für sich zu gewinnen.
Kandidat Nummer eins ist der 35-jährige Rodney Alcala. Der Moderator stellt ihn den Zuschauern vor, ohne dass Cheryl es hören kann: »Er ist ein erfolgreicher Fotograf, der mit dreizehn seine Fotoleidenschaft entdeckte, als sein Vater ihn in der Dunkelkammer antraf – voll entwickelt.« Diesem doppeldeutigen Wortwitz fügt der Moderator hinzu: »In seiner Freizeit ist er Fallschirmspringer und fährt gerne Motorrad.« Schon diese Beschreibung lässt viele Frauenherzen im Publikum höherschlagen. Hinzu kommt sein sympathisches Äußeres, das Cheryl vorerst noch verborgen bleibt: Rodney ist ein attraktiver Latino-Typ. Sein Lächeln ist mindestens ebenso strahlend und freundlich wie das von Cheryl. Und er lächelt viel, wobei seine Augen fröhlich, geradezu kindlich unschuldig strahlen. Gekleidet ist er in einen modischen, dunkelbraunen Anzug. Das weiße Hemd darunter hat er betont weit aufgeknöpft. Sein langes, dichtes, leicht gelocktes Haar ist fast schwarz. Es fällt offen hinter die Schultern. Seine beiden Mitbewerber, in hellen Anzügen mit kurz geschnittenen Haaren, wirken blass und dröge neben dem lebhaften Rodney, der die gesamte Show über alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Schon der erste Satz, mit dem er sich Cheryl vorstellt, wirkt siegessicher: »Wir werden eine großartige Zeit zusammen haben, Cheryl.« Derart von sich selbst überzeugt beantwortet er auch alle Fragen. »Was ist deine liebste Tageszeit?«, fragt Cheryl verschmitzt lächelnd. Ohne zu zögern, erwidert Rodney: »Die beste Zeit ist bei Nacht, die Nachtzeit.« »Warum findest du das?«, hakt Cheryl nach. »Weil es die einzige Zeit überhaupt ist«, antwortet Rodney geheimnisvoll. »Was hast du gegen den Morgen oder den Nachmittag?«, will Cheryl genauer wissen. »Diese Zeiten sind in Ordnung, aber die Nacht ist die Zeit, wo es wirklich gut wird«, erwidert Rodney.
Cheryls nächste Frage fordert das schauspielerische Talent ihrer Bewerber heraus. »Ich bin Schauspiellehrerin und möchte jedem von euch eine private Unterrichtsstunde geben«, beginnt sie. An Rodney gewandt spricht sie weiter: »Du spielst einen geilen, alten Bock. Leg los!« Mit lüsternem Gesichtsausdruck und rauchiger Stimme presst Rodney hervor: »Komm hier herüber«, was er mit einem animalischen Stöhnen abrundet. Einen Augenblick später lächelt er wieder über das ganze Gesicht, wie ein Schüler, der seine Lehrerin mit einem besonders lustigen Witz unterhalten hat. Cheryl ist hingerissen von Rodneys schauspielerischem Naturtalent, dem er ohne auch nur einen Hauch von Nervosität freien Lauf lässt.
Mit ihrer letzten Frage bietet Cheryl Rodney eine weitere Steilvorlage, um sich besonders selbstsicher darzustellen: »Ich serviere dich als Speise zum Essen. Welches Nahrungsmittel bist du und wie siehst du aus?« Mit selbstsicherem Gesichtsausdruck erwidert Rodney sofort: »Ich werde die Banane genannt, und ich sehe wirklich gut aus.« »Kannst du das etwas anschaulicher beschreiben?«, fragt Cheryl. »Schäl mich«, kontert Rodney herausfordernd, womit er sowohl Cheryl als auch das Publikum zum Lachen bringt.
Als sich Cheryl am Ende der Show für einen Kandidaten entscheiden muss, fällt ihr dies sichtlich leicht. Übers ganze Gesicht strahlend sagt sie: »Ich mag Bananen, deshalb wähle ich Kandidat Nummer eins.« Rodney lacht offensichtlich hocherfreut über seinen Sieg. Er kommt hinter der Wand hervor, strahlt Cheryl an, die sichtlich begeistert von seinem Anblick ist. Dann umarmt er sie zur Begrüßung und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Als sei sie bereits seine feste Freundin, legt Rodney den Arm um ihre Hüfte und bleibt so eng neben ihr stehen, während der Moderator verkündet, was die beiden gewonnen haben: gemeinsamen Tennisunterricht und einen Ausflug in einen großen Freizeitpark. Cheryl empfindet Rodneys stürmische Annäherung offenbar keineswegs als unangenehm. Die beiden lachen sich glücklich an und sehen aus wie ein frisch verliebtes Traumpaar.
Was Cheryl nicht weiß: Rodney hat zu
Weitere Kostenlose Bücher