Auf dünnem Eis: Die Psychologie des Bösen (German Edition)
diesem Zeitpunkt bereits mindestens fünf Frauen vergewaltigt und brutal ermordet. Ein achtjähriges Mädchen, das er zehn Jahre zuvor vergewaltigte und zu töten versucht hatte, überlebte nur mit sehr viel Glück schwer verletzt. All dies ahnt niemand, der den gutaussehenden, wortgewandten, charmanten Rodney als Sieger der Show zu sehen bekommt. Doch hinter den Kulissen erhaschen Cheryl und die beiden Mitbewerber einen kleinen Einblick in sein wirkliches Wesen.
Rodney Alcala 1978 in der Show »The Dating Game«.
Sobald er außer Sichtweite der Kameras ist, benimmt Rodney sich wie ein anderer Mensch. Wie ein Schauspieler, der auf der Bühne eine Rolle sehr überzeugend spielte, mit der er in seinem wahren Leben nicht viel gemeinsam hat. Rodney ist hinter den Kulissen einerseits eher still, andererseits fällt er anderen plötzlich ins Wort und versucht sie aufdringlich zu beeindrucken. Jed Mills, während der Show der Mitbewerber direkt neben ihm, erinnert sich später, dass Rodney auf ihn hinter den Kulissen unausstehlich und unheimlich wirkte. Er verhielt sich, als wolle er den anderen absichtlich einen Einblick in sein wahres Wesen geben. Mills beschreibt später: »Letztlich habe ich den Kerl nicht nur unsympathisch gefunden, ich wollte gar nicht in seiner Nähe sein. Er wurde immer unangenehmer und seltsamer. Das war der gruseligste Kerl, den ich in meinem Leben getroffen habe.« Diese Wirkung hat Rodney auch auf Cheryl. Sie lehnt es danach ab, ihn wieder zu treffen – was ihr wahrscheinlich das Leben rettet.
Der »wahre« Rodney
Rodney ist sich absolut bewusst, wie sehr er auch Cheryl direkt nach der Show abschreckt. Er setzt sein Verhalten gezielt ein, um die Menschen in seiner Umgebung zu beeinflussen. Auf den ersten Blick wirkt, was er tut, widersprüchlich: Zuerst macht er bei einer Spielshow mit und legt sich charmant ins Zeug, damit eine fremde Frau ihn als Verabredung auswählt. Doch hinter den Kulissen verwandelt er sich ins genaue Gegenteil. Plötzlich verhält er sich bewusst unangenehm und verschreckt die anderen, auch seine Eroberung. Wenn man genauer hinschaut, macht sein Verhalten aber sehr viel Sinn.
In beiden Situationen erreicht er genau das, was er gerade will. An der Fernsehshow nimmt Rodney nicht teil, weil er eine Frau kennenlernen möchte. Frauen kennenzulernen ist eine seiner leichtesten Übungen. Er weiß, dass Frauen ihn attraktiv finden, er weiß genau, was sie hören wollen. Als Berufsfotograf kann er jede Frau, die ihm gefällt, einfach ansprechen und ihr damit schmeicheln, dass er sie als Modell will. Es ist nicht das mögliche Date, das Rodney in die Sendung lockt, es ist die Sendung selbst.
»The Dating Game« ist zu dieser Zeit überaus beliebt. Rodney möchte im Fernsehen von einem Millionenpublikum gesehen werden und dabei sein eigenes, kleines Theaterstück vorführen. Er spielt die Rolle »Rodney – unwiderstehlicher Draufgänger mit dem sympathischen Lächeln«. In seinem persönlichen Drehbuch hat er die gesamte Handlung schon entworfen: »Rodney, der Unwiderstehliche« wird in der Show nicht nur umwerfend auf die Zuschauer wirken, er wird seine Mitspieler in den Schatten stellen und das Herz der Dame im Sturm erobern.
Die Show wird zu Rodneys persönlicher Bühne, auf der sein Stück genau so aufgeführt wird, wie er es will. Da ist er sich sicher, denn er weiß, was er kann. Er versteht die »Spielregeln«, nach denen sich normale Menschen verhalten, und benutzt sie, um andere zu beeinflussen. Ihm ist klar, wie er sich verhalten muss, um in einem anderen Menschen ein bestimmtes Gefühl zu erzeugen. Dieses Gefühl bestimmt mit darüber, wie sich dieser Mensch verhalten wird. So bringt Rodney Menschen oft dazu, das zu tun, was er will.
Ein weiterer großer Vorteil dabei ist, dass die meisten normalen Menschen noch nie darüber nachgedacht haben, dass es diese Spielregeln überhaupt gibt. Deshalb können sie gar nicht bemerken, wie gezielt er mit ihnen spielt. Weil sie normal sind, kommen sie gar nicht auf den Gedanken, dass eine kleine Anzahl von Menschen nach völlig anderen Spielregeln funktioniert. Rodney ist einer dieser »anderen« Menschen – er ist Psychopath.
Seine Welt ist völlig anders als die normaler Menschen. Er fühlt, denkt und handelt nicht wie sie. Wie alle Psychopathen hat er schon als Kind gemerkt, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Psychopathische Kinder erleben, dass alle anderen anscheinend nach denselben »Regeln« fühlen, denken
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