Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
Warum beunruhigt mich das überhaupt nicht? Was ich dann tat, war: Ich begann, mich auf eine Art selbst zu analysieren, während ich mir diese Videos anschaute.« Der Autor fragte Kuklinski: »Bist du zu einem Ergebnis gekommen?« Kuklinski antwortete: »Ja, ich kam zu einem Ergebnis. Ich habe entschieden, dass ich Hilfe bräuchte. Ich bräuchte psychiatrische Hilfe oder Medikamente. Und was soll ich jetzt tun? Soll ich zu einem Psychiater gehen und ihm sagen, dass es mir gefällt, Menschen zu töten?« Das tat er natürlich nicht.
Doch die Interviews mit Kuklinski – ebenso wie mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern – zeigen, dass er alles andere als ein völlig gefühlskalter Mann war. Das Leben der durch die Auftragsmorde zu Wohlstand gekommenen Familie erschien allen, die sie kannten, wie der Wirklichkeit gewordene »amerikanische Traum«. Hinter den vier Wänden des trauten Heims tat sich allerdings eine Hölle auf, deren unantastbarer Herrscher Kuklinski war. Immer wieder hatte er heftige Wutausbrüche, schlug brutal seine Frau Barbara und – wenn auch weniger häufig – seine Kinder.
Dies war eine der wenigen Sachen, die Kuklinski zumindest kurzfristig bedauerte. In einem Interview sagte er: »Ich wollte ihnen die guten Seiten des Lebens zeigen, nicht die schlechten.« Doch dazu war er nicht imstande. Als seine Töchter Jugendliche waren, sagte er ihnen, sollte er ihre Mutter irgendwann in einem Wutausbruch töten, so müsse er auch sie beseitigen – auch wenn ihm dies nicht so leicht fallen würde. Zwar wussten seine Angehörigen nicht, was er »beruflich« tat, doch als sie es erfuhren, waren sie nicht übermäßig schockiert. Die Angst der Familie ging so weit, dass seine Frau und eine seiner Töchter planten, ihn zu vergiften. Sie setzten diesen Plan nie um, weil sie zu Recht fürchteten, er könnte dahinterkommen und sie deshalb sofort töten.
Das Tragische an Richard Kuklinski war, dass er seine Wut, obwohl er dies im Gegensatz zu all seinen Morden nicht wollte, auch gegen jene Menschen richtete, für die er in der Tat etwas empfand. Etwas, das Liebe sehr ähnlich ist, wenn man zwei Dinge berücksichtigt: Erstens, dass er wie alle stark ausgeprägten Psychopathen jene, die er zu lieben glaubte, nie wirklich anders wahrnehmen konnte denn als wertvolle »Dinge«, die sein Besitz sein mussten. Zweitens, dass es für einen Menschen wie Kuklinski Liebe nie ohne Angst und Angst nie ohne Wut und Aggression geben kann. Kuklinski zeigte in dieser Hinsicht auch ein typisches Merkmal des Borderliners: die übermächtige Angst, von jenen verletzt und verlassen zu werden, die ihm am meisten bedeuteten. Diese Angst und daraus erwachsende Wut war für ihn nicht zu kontrollieren.
Die Wurzeln dieses Übels lagen eindeutig in Kuklinskis extrem gewalttätigem Elternhaus. Als er ein Kind war, misshandelte sein Vater einen seiner beiden Brüder so schwer, dass dieser starb. Der Polizei erklärten die Eltern, der Junge sei von einer Treppe gestürzt. Sie kamen damit davon. Der andere Bruder verbrachte seine letzten Lebensjahre im gleichen Gefängnis wie Kuklinski. Er war dort schon lange vorher gelandet, nachdem er eine Zwölfjährige vergewaltigt und ermordet hatte. Kuklinskis Mutter schließlich wurde von ihrem Mann bei einer der unzähligen, heftigen Ehestreitigkeiten ermordet. Er stach ihr mit einem Messer in den Rücken.
Ein Kind, das unter derart extremen Bedingungen aufwächst, hat eine sehr große »Chance«, selbst zum Verbrecher zu werden.
Das wirkliche Leben war Chaos …
– Aber es lag eine schreckliche Logik in der Phantasie
Dieser Satz stammt aus Oscar Wildes »Das Bildnis des Dorian Gray«. Die Hauptfigur des Romans ist ein attraktiver, wohlhabender, eitler, kaltherziger junger Mann. Dorian Gray langweilt sich, er sucht vergeblich nach einem Sinn in seinem oberflächlichen Leben. Also flüchtet er sich in allerlei maßlose, selbstsüchtige und grausame Ausschweifungen – nichts anderes als die typisch psychopathische Suche nach immer neuen Kicks, Abenteuern und Erfolgen. Die Sünden, die Dorian begeht, schlagen sich in einem Gemälde nieder, das ihn zeigt – auf diesem Porträt wird er immer hässlicher und älter. Ich weiß nicht, ob Rodney Alcala dieses Buch jemals gelesen hat. Aber es würde mich interessieren, ob er seine Ähnlichkeit mit dieser Figur erkannt hätte.
Alcala verband emotional absolut nichts mit anderen Menschen. Anders als Kuklinski schien er nicht einmal für seine
Weitere Kostenlose Bücher