Auf Dünnem Eis (T-FLAC) (German Edition)
armen, erschöpften Tieren ein paar Sekunden später das exakte Gegenteil abverlangte. Aber sie konnte nicht bleiben. Nicht hier. Eine halbe Stunde weiter war für sie alle angenehmer.
» Whoa! «, befahl Derek ihrem Gespann und nahm Arrow an der Halsleine, als sie vorbeizulaufen versuchte. » Whoa! «, wiederholte er und ließ keinen Widerspruch zu. Die gut ausgebildeten Hunde blieben auf der Stelle stehen.
Derek schlenderte auf sie zu. »Netter Versuch, Doc.« Er hob mit einer Hand den schweren Strohballen von der Ladefläche und warf ihn in der Nähe seiner eigenen Hunde auf den Boden. »Ich habe mir gerade etwas von Annies Boeuf Bourguignon aufgewärmt, der Kaffee ist heiß, und das Hundefutter ist auch fertig.«
Lily roch den üppigen, himmlischen Duft aus Essen und Kaffee und bekam einen wässrigen Mund. Ihr Körper fühlte sich immer noch an, als sei er in Bewegung. Wie ein Matrose, der zu lang auf See gewesen war und an Land den Ozean unter den Füßen spürte. »Wir fahren«, sagte sie gepresst.
»Nein.« Die dicke Jacke und die schwarze Pelzmütze lie-ßen ihn riesenhaft und unbeweglich wie einen Berg wirken. Er sah sie durchdringend an. »Sei kein Dummkopf, Lily. Du ruhst dich aus«, befahl er und packte sie am Arm, bevor sie … was? Ihn schlug? Davonlief? »Jetzt.« Sein Tonfall war unerbittlich.
Geh zum Teufel, dachte sie streitlustig, bemühte sich aber nicht sonderlich, ihn abzuschütteln. Es wäre ein netter Trick gewesen, tatsächlich einzuschlafen.
Er suchte mit den Augen eindringlich ihr Gesicht ab. Lily stierte versteinert zurück. »Was soll das werden?«, wollte er wissen. Er runzelte die Stirn, und was er sah, gefiel ihm offenbar nicht. »Willst du dich umbringen?«
»Hast du den anderen Mushern, die hier vorbeigekommen sind, auch so lächerliche Fragen gestellt?«, geiferte Lily und versuchte, den Haltebügel auszuhaken, damit sie vom Tritt steigen und von ihm weg konnte.
Doch ihre steifen, kalten Finger rührten sich nicht. Sie schaffte es nicht einmal, mit der einen Hand die andere zu lösen. Noch länger in dieser Haltung, und sie vereiste. Dann würde man sie senkrecht begraben müssen.
Nur ein Derek ließ sich derart exzellentes Essen an die Kontrollpunkte vorausschicken. Der reichhaltige, würzige Duft des Burgunders und der Gedanke an die zarten Rinderstücke in der sämigen Soße waren zu verführerisch. Ihr Magen knurrte so laut und so lange, dass ein paar der Hunde sich umdrehten, um zu sehen, woher der Lärm kam. Derek fluchte leise. Sie standen Nase an Nase. Viel zu nah für Lilys Geschmack. Sein Gesicht lag im Schatten, doch sie konnte das teuflische Funkeln in seinen dunkelblauen Augen erkennen. Ihr stockte der Atem, als er die Hand ausstreckte und …
… nach ihrer Hand griff. Er bog die behandschuhten Finger auf, bis sie den Bügel loslassen konnte. Sie seufzte erleichtert. Sie fühlte sich befreit und hatte das seltsame Gefühl, einer unbekannten Gefahr entronnen zu sein. Sie bewegte die starren Finger und stolperte vom Schlitten. Derek oder nicht Derek, die Bewegung tat gut.
»Geh und iss was. Ich kümmere mich …«
Sie brachte einen finsteren Gesichtsausdruck zustande. »Und sorgst dafür, dass ich disqualifiziert werde? Oh, nein.«
»Gut. Dann kümmere dich selber um deine Hunde. Aber spar dir wenigstens die Zeit, und nimm von meinem Essen. Es ist genug da.«
Es wäre dumm gewesen, sich zu weigern. Und offen gesagt, war sie nicht sicher, ob sie noch warten konnte, bis ihr eigenes Essen heiß war. Sie hätte mittlerweile an allem genagt, das ihr in die Hände fiel. »Schön. Ich füttere meine Kleinen und bin gleich da.«
Sie holte das Hundefutter und den großen Topf vom Schlitten.
Derek nahm ihr beides ab. Lily wehrte sich nicht. Sie schaute ihm nur mit glasigem Blick zu, wie er das Futter und den Topf wieder auf der Ladefläche des Schlittens verstaute.
»Ich weiß, du willst das nicht«, sagte er leise, und seine Miene war schwer zu durchschauen. »Aber ich habe das Futter schon fertig. Stell es ihnen einfach hin, und dann iss selber was.«
»Aber …«
»Tu es, um Himmels willen, bevor du mit dem Gesicht voraus in den Schnee kippst!«
»Danke.« Vor Erschöpfung taub, marschierte Lily die Reihen entlang, gab den Hunden Futter und Wasser und spürte die Hitze seines Blicks auf dem Rücken, während sie mechanisch ihre Arbeit tat.
Als sie fertig war, suchte sie die Beine und Pfoten der Hunde nach Verletzungen ab und packte die Hunde zum Schlafen in
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