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Auf Dünnem Eis (T-FLAC) (German Edition)

Auf Dünnem Eis (T-FLAC) (German Edition)

Titel: Auf Dünnem Eis (T-FLAC) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cherry Adair
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fort.
    Lily hatte ihn amüsant, charmant und aufgeschlossen gefunden, als sie ihn später wiedergesehen hatte. Sean war nicht annähernd so gewandt und kultiviert gewesen wie Derek, aber genau das hatte sie an ihm geliebt. Er war nach wie vor der Kleinstadtbursche geblieben. Der Kleinstadtbursche, der es geschafft hatte. Wenn sie sprach, hörte er mit ungeteilter Aufmerksamkeit zu, studierte ihre Mimik, konzentrierte sich. Er erinnerte sich an die Dinge, die sie ihm erzählt hatte. Sie hatte sich geschmeichelt gefühlt, und ihr war vor Freude schwindlig gewesen. Er war ihr Märchenprinz. Gut aussehend und offenkundig ganz verrückt nach ihr. Er verwöhnte sie mit Blumen und kleinen Geschenken. Er hielt im Kino ihre Hand, drängte sie nie zu mehr, als sie zu geben bereit war.
    Lily hatte sich hinterher gedacht, dass Sean Munroe sie wohl auch deshalb geheiratet hatte, weil sie nicht mit ihm hatte schlafen wollen, bevor er ihr nicht einen Ring an den Finger gesteckt hatte.
    Rückblickend betrachtet, war es ziemlich blöde gewesen, an ihrer Jungfräulichkeit festzuhalten. Sie hätte mit Sean schlafen sollen, dann wären sie beide diesen Drang los gewesen, und ihre Beziehung hätte vermutlich lediglich fünf Minuten gedauert.
    Als sie sich die ersten Male getroffen hatten, hatte sie sein schlechtes Benehmen noch mit dem Verlust der Mutter und der Entfremdung von seinem Vater entschuldigt.
    Unglücklicherweise hatte er nie etwas getan, um voranzukommen und sein Leben selbst in den Griff zu kriegen. An allem, was ihm widerfuhr, war immer jemand anderer schuld. Er war »unter einem Unstern geboren«, er hatte »Pech«. Und, angefangen mit seinen Eltern, wollten die Menschen ihm Böses.
    Sie hätte die Signale richtig deuten müssen. Aber sie war es nicht gewohnt, mit so viel Negativität konfrontiert zu werden, und anstatt auf und davon zu laufen, hatte sie versucht, ihn zu kurieren. Das einzig Verkehrte an der Theorie war, dass Sean überhaupt nicht kuriert werden wollte. Sean liebte es, das Opfer zu sein. Es war bequem, und er hatte die Rolle über Jahre hinweg perfektioniert.
    Sean übernahm nie die Verantwortung für seine Taten. Sein Vater hasste ihn. Seine Mutter hatte ihn verlassen. Derek hatte sich nicht genug für ihn eingesetzt, und Lily unterstützte ihn nicht richtig. So war es weiter und weiter gegangen, bis Lily auf dem Ohr taub geworden war.
    Die Stadt Munroe - falls man eine Tankstelle, einen Piggly-Wiggly-Lebensmittelladen und eine Methodistenkirche eine Stadt nennen konnte - war nach Verns Großvater benannt. Die Ranch, die Vern in den fünfziger Jahren aufgebaut hatte, war die größte in der Gegend, und als Verns Gesundheit sich verschlechtert hatte und er in ein Pflegeheim nach Billings gezogen war, hatten eine Menge Leute ihre Arbeit verloren.
    Das Pflegeheim hatte Verns Ersparnisse aufgezehrt, und die Ranch war am Ende zwangsversteigert worden, um die Schulden zu tilgen. Soweit bekannt, hatte er seit Jahren keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn gehabt.
    Lily konnte sich nicht vorstellen, dass jemand über so lange Zeit Groll hegen konnte. Sean hatte nie darüber gesprochen, und Lily hatte sich damals ausgemalt, dass er zu tief verletzt sei, um mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Aber Seans schlechte Angewohnheiten und sein noch schlechteres Benehmen waren offenkundig nicht neu.
    »Du bist also nach Montana gefahren und hast Verns Ranch gekauft. Hat Sean irgendetwas zu dem Kauf beigesteuert?«, fragte Lily neugierig. Sean hatte das behauptet. Er habe sich, nachdem er das Land seines Vaters verlassen hatte, in Texas eine eigene Ranch gekauft und auf dem Viehmarkt den absoluten Treffer gelandet.
    »Nein.«
    »Ich hätte es wissen müssen.« Warum hätte Sean über irgendetwas die Wahrheit sagen sollen, wenn er doch kunstvolle Lügengeschichten bevorzugte? Lily runzelte die Stirn. »Warum in aller Welt hast du ihn überall erzählen lassen, dass du für ihn gearbeitet hättest?« Sean hatte mit seinem Grundbesitz geprotzt, mit der Größe seiner Herden, mit seinem preisgekrönten Bullen - er hatte Lily sogar den Namen aussuchen lassen!
    »Ich war nicht allzu oft da.«
    Dass er in Texas noch eine weitere Ranch führte, erklärte seine häufige Abwesenheit. »Stimmt.«
    »Ich dachte mir, was macht es schon, wenn Sean in Montana den großen Macker spielt? Wir kannten beide die Wahrheit«, sagte Derek in ihr Ohr, nah wie ein Atemhauch.
    Mit Derek zu reden, fiel ihr bedeutend leichter, wenn sie ihn nicht sah.

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