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Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt

Titel: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giovanni di Lorenzo Helmut Schmidt
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sich auch Idealismus und Multilateralismus durchgesetzt, zum Beispiel unter Präsident Wilson am Ende des Ersten Weltkrieges und abermals unter den Präsidenten Truman und Eisenhower.
    Wo ist für Sie die Trennlinie zwischen der Kritik an einer amerikanischen Regierung und Antiamerikanismus?
    Antiamerikanismus ist eigentlich eine Sache der äußersten Linken und der äußersten Rechten. In der breiten Mitte des politischen Spektrums in Deutschland gibt es keinen Antiamerikanismus.
    Und der Erfolg Gerhard Schröders mit seiner Haltung im Irakkrieg: War da kein bisschen Appell an antiamerikanische Affekte?
    Das hat vielleicht eine Rolle gespielt, aber es war nicht das Motiv. Ich war voll und ganz auf der Seite der damaligen französischen und der deutschen Regierung, weil ich wusste: Irak endet im Chaos. Wir sind jetzt nahe dran an diesem Ende.
    Was verdanken die Deutschen den Amerikanern?
    Da muss man weit zurückgehen, in das Jahr 1848, zur Versammlung in der Frankfurter Paulskirche. Die geistige Munition haben die Deutschen aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung bezogen – und auch aus der amerikanischen Verfassung.
    Sie denken nicht zuerst an die Befreiung von den Nazis.
    Weil das zeitlich später liegt. Und weil es nicht so ist, dass nur die Amerikaner Deutschland von Hitler befreit hätten, sondern es waren die Amerikaner und die Engländer und die Russen. Ohne Churchill hätte das Ganze nicht funktioniert. Die Vorstellung, dass wir die Befreiung von Hitler allein den Amerikanern verdanken, ist historischer Unfug.
    Wäre ein Gefühl der Dankbarkeit nicht dennoch angemessen?
    Das Gefühl der Dankbarkeit hat zum allerersten Mal Richard von Weizsäcker in seiner berühmten großen Rede vom 8. Mai 1985 ausgedrückt. Er hat dem deutschen Volk erstmalig klargemacht, dass der verlorene Krieg in Wirklichkeit eine Befreiung war.
    Reichlich spät.
    Wenn das ein Bundespräsident zehn Jahre vorher gesagt hätte, hätte er keine Resonanz gefunden. So lange hat es gebraucht. Was übrigens kein Wunder ist, denn die Niederlage war verheerend.
    Was war Ihr persönlicher Eindruck, als Sie 1950 zum ersten Mal Amerika besuchten?
    Es war rührend, ich habe in Minnesota einen Onkel besucht. Er und seine Familie empfingen mich am Bahnhof mit Girlanden, Küssen und Umarmungen. Er bot mir ein Haus an, er bot mir einen Job an, er zeigte mir seine Fabrik, die hatte 16 Mann Belegschaft. Und vor der Tür der Fabrik standen 16 Autos – unvorstellbarer Wohlstand! Er sagte: »Lass deine Frau und deine Tochter nachkommen, das ist doch alles Scheiße bei euch in Deutschland!«
    Waren Sie eine Minute lang versucht?
    Nein, dazu war ich zu sehr Deutscher. Aber es hat mich die Großzügigkeit der Amerikaner gelehrt.

    14. Juni 2007

[ Inhalt ]
    Ein sehr bunter Gockel
    Über die Kunst
    Lieber Herr Schmidt, Sie haben mal gesagt, erst als 1937 die Ausstellung »Entartete Kunst« eröffnet wurde, hätten Sie begriffen: Die Nazis sind verrückt. Haben Sie die Ausstellung gesehen?
    Nein, ich habe nur flüchtige Kenntnis bekommen, wahrscheinlich über Zeitungen, dass meine Idole – Nolde, Barlach, Kollwitz, Kirchner, der Blaue Reiter, die Brücke –, dass deren in meinen Augen große Kunst für »entartet« erklärt worden war und dass sie gezeigt wurde, um das Publikum abzuschrecken. Ich selber hatte auf meiner Schule einen Kunsterzieher, der uns Jugendlichen damals diese deutsche expressionistische Kunst ans Herz gelegt hatte.
    Als Ihre Lieblingskünstler nennen Sie Käthe Kollwitz, Ernst Barlach, Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner und dann einen belgischen Expressionisten, Frans Masereel. Konnten Sie das eine oder andere Werk dieser Künstler erwerben?
    Ja, aber leider keinen Masereel.
    Im Jahre 1980, da waren Sie noch Kanzler, haben Sie erklärt: »Vielleicht werde ich alt genug, um meinen Neigungen und unvollendeten Hoffnungen und Wünschen auf einem anderen Feld noch einmalnachgehen zu können.« Haben Sie damals an die Kunst gedacht?
    Wahrscheinlich ja. Ich hatte eine aus Jugendzeiten verborgene kleine künstlerische Ader, das bezog sich auf die Malerei und auf die Musik. Immerhin habe ich als 17-Jähriger eine große Zahl von Kirchenliedern in vierstimmigen Chorsatz gesetzt. Ich bin innerlich der Musik immer zugeneigt geblieben, habe aber nie Zeit und genug überschüssige Kraft gehabt, um mich ihr sonderlich zu widmen.
    Wann haben Sie aufgehört zu zeichnen?
    In den Kanzlerjahren.
    Sind einige Ihrer Bilder erhalten?
    Eines hängt noch

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