Auf Schreckenstein gibt's täglich Spaß
Geschichte in der Chronik erinnerte. Die alten Burgherrn hatten diesen Mechanismus gebastelt, um ihre Gefangenen schon beim Betreten der Kammer ordentlich einzuschüchtern. Und die neuen Ritter hatten dem Knochenmann einen Spitznamen gegeben.
„Ist ja gut, Paule! Mach’s nicht so spannend“, sagte Andi, trat gelassen näher, schob den Sensenschwinger in den Kasten zurück und schloss die Tür. Die Ritter waren von dieser Reaktion sichtlich beeindruckt.
Andi entgingen ihre Blicke nicht. Er setzte sich zu Mücke auf die Streckbank, verschränkte die Arme, in Erwartung, dass man ihn nun in den geplanten Streich einweihen werde. Statt dessen wurde er gepackt, und ehe er recht begriff, was geschah, auf die Streckbank gefesselt. Dampfwalze drehte an der Winde, nur ganz wenig, bis er wirklich ausgestreckt dalag.
„Was wollt ihr denn von mir?“ fragte Andi, der es jetzt doch mit der Angst zu tun bekam. Er war beileibe kein Angsthase, aber das hier ließ doch seinen Mut sinken.
„Nur Geduld, mein Junge“, antwortete Klaus, der Witzbold, während Dieter ihm die Turnschuhe auszog. Hans-Jürgen brachte Holzwolle und Kleinholz und machte auf den Steinfließen ein Feuer, unmittelbar vor Andis Füßen. Es wurde ungemütlich warm auf den Sohlen. Dampfwalze drehte wieder an der Winde, wodurch der leichte Schmerz sich über den ganzen Körper verteilte.
„Vorsicht, nicht zu fest!“ ermahnte Ottokar. Damit wurde Andi klar, dass sie ihm anscheinend einen Denkzettel verpassen wollten. Aber wofür? Hatte er sich etwas zuschulden kommen lassen, angegeben, gegen eine Schulregel verstoßen, sich abfällig über den Ritterkult geäußert? Oder wollten sie ihm ganz einfach seine Begeisterung für Indianer austreiben? Ja, nur das konnte es sein. Aber da sollten sie sich täuschen! Sollten sehen, was ein Indianer aushält! Keinen Mucks würde er tun!
Dieser Vorsatz wurde sogleich auf eine harte Probe gestellt, denn jetzt fingen sie an, ihn zu kitzeln. Doch Andi blieb stark, entspannte die gestreckte Muskulatur so gut es ging, atmete ruhig und zuckte mit keiner Wimper.
„Genug“, sagte Ottokar nach wenigen Minuten, die Andi wie eine Ewigkeit vorkamen. Dampfwalze drehte die Winde zurück, Hans-Jürgen nahm das kleine Feuer auf eine Schaufel und kippte es in eine Wassertonne.
„So ähnlich hast du es in der Ebert-Schule gemacht“, sagte Stephan. „Das haben wir inzwischen erfahren und wollten dir einmal zeigen, wie angenehm so was ist.“
„Wir haben nämlich nicht gern Feiglinge, die Wehrlose quälen, weil das nicht fair ist“, fügte Ottokar hinzu. „Also hör auf, bei uns Indianersitten einzuführen, sonst kannst du gleich wieder gehen.“
„Ja, aber...“ Andi war drauf und dran zu sagen, dass Dampfwalze ihn ausdrücklich dazu ermuntert habe. Erwartungsvoll schaute er zu ihm hinüber. Doch Dampfwalze lehnte bequem am Richtertisch und machte keinerlei Anstalten, sich zu äußern. Andi fand das eigentlich recht unritterlich, bis ihm ein anderer Gedanke kam: Die wollen mir nur auf den Zahn fühlen, wie weit meine Begeisterung wirklich geht! Und der Wahrheit gemäß sagte er: „Das war doch Spaß. Wer kommt denn auf die Idee, in Mokassins mit Kriegsbeil auf einem Wehrgang herumzuschleichen? Und die Sache in Neustadt hab ich gemacht, weil man mir gegenüber gemein und hinterlistig war. Bestimmt. So war’s.“
„Ich glaube ihm“, sagte Mücke, der als Redakteur am schnellsten denken konnte.
„In Ordnung“, sagte auch Stephan und begann die Fesseln zu lösen. „Wir wollten nur sehen, woran wir mit dir sind.“
Ottokar gab ihm die Hand. „Denk dir nichts dabei. Wer zu uns kommt, muss umlernen. Aber es ist nicht schwer. Wir haben einen ganz einfachen Wahlspruch: ,Ich will auf Schreckenstein allzeit fair und ehrlich sein!’ Wenn du dich daran hältst, können wir dich bald zum Ritter schlagen.“
„Deine Reaktion, als Paule aus dem Kasten kam, war prima!“ sagte Mücke.
Dampfwalze, der die Fußfesseln gelöst hatte, boxte ihn kameradschaftlich auf die Brust.
„Beachtlich war, dass du keine Miene verzogen hast“, erklärte er, „Ich hab nämlich ganz schön zugedreht!“
Andi nickte und schlenkerte seine reichlich gedehnten Glieder. Jetzt hatte er die Schreckensteiner verstanden! Und er schwor sich, auf der Burg allzeit fair und ehrlich zu sein.
„Jetzt zeig uns mal, wie ein Indianer in seinen Wigwam schleicht“, scherzte Klaus, der Witzbold. Jeder nahm seine Taschenlampe, und sie schlichen — jedoch
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