Auf Umwegen zum Glück (German Edition)
unserer Vespa weiter. „Wo fahren wir hin?“ fragte ich Flavio. „Überraschung!“ Nach gut einer Stunde wechselte er unvermittelt die Fahrspur und bog in ein kleines Wäldchen ein. Erleichtert stieg ich ab. Ein Vespasitz ist nicht gerade der gemütlichste.
„Ab hier müssen wir ein Stück weit zu Fuß gehen“, erklärte er. Gott sei Dank hatte ich Sandalen an. Über einen ausgetretenen, steinigen Pfad ging es ziemlich steil hoch. „Au weia“, dachte ich, „das wird bei der Nachmittagshitze ein heißes Unterfangen.“ Tapfer marschierte ich bergauf. Auf halber Höhe musste ich allerdings mehrere Male verschnaufen, um Atem zu holen. Schließlich war es geschafft. Ein idyllisches Plätzchen, rundherum eingebettet in alte Eukalyptusbäume, lag vor uns. Ein wunderschöner, ruhiger, fast verzauberter Ort. Eine Oase der Ruhe, wie auf einer einsamen Insel. Hinter einer halb verfallenen, efeuberankten Steinmauer stand eine kleine, steinerne Kapelle. Uralte Gräber, mit verwilderten und verdorrten Gräsern überwuchert, zeugten von vergangenen Zeiten.
Um einen Schatten spendenden Baum herum hatten einstige Bewohner dieses kleinen Ortes eine Bank gebaut, die noch recht stabil aussah. „Ich brauchte unbedingt eine kleine Rast!“ Ohne Umweg steuerte ich die verlockende Sitzgelegenheit an. Die Holzbretter knarrten zwar ein wenig, fühlten sich jedoch noch fest und glatt an. Schön ist es hier und so friedlich“, murmelte ich. Bienen und Hummeln summten im warmen Sonnenschein, bestäubten die Blütenkelche und sammelten eifrig Nektar. Flavio setzte sich mit auf die Bank und erklärte mir, was es mit der kleinen Kapelle für eine Bewandtnis hatte.
„Vor vielen Jahren, wenn die Weinlese vorüber war, hielten die Weinbauer hier ihren Dankgottesdienst ab, pilgerten bei Fackelschein zurück ins Dorf und verbrannten auf der Piazza die Rebstöcke. In der verbliebenen Glut wurden dann Spanferkel gegrillt. Heute wird die Feier nur noch für die Touristen abgehalten. Die Krönung des Festes ist dann die Wahl der „Weinkönigin“. Das geht so vor sich: Einige hübsche Damen werden aus dem Publikum auf die Bühne gebeten. Man fragt sie, was sie von der Geschichte Mallorcas wissen, wer der beste Flamencotänzer war, lässt sie ein paar Tanzschritte machen und wer sich traut, soll noch ein kleines Liedchen trällern. Dann darf das Publikum abstimmen. Wer die meisten Stimmen bekommt, wird zur „Weinkönigin“ gekürt. Das ist immer eine Riesengaudi und dauert bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages hinein!“
Ich lauschte Flavios Stimme und tauchte ein in den Frieden des kleinen Ortes. „Geht es Dir gut?“ hörte ich ihn fragen. Ich nickte. „Es ist wunderschön hier oben, ich danke Dir!“ Langsam wechselte der Himmel seine Farbe hin zum Abendrot. „Ich glaube, wir gehen jetzt lieber zur Kapelle, andernfalls wird es für die Rückfahrt zu spät.“ Er ergreift meine Hand und zieht mich hoch.
Geräuschvoll quietschte die schwere Eichentür beim Öffnen. Schweigend betraten wie die kleine, uralte Kapelle. Kühle empfing uns. In einer Kirchenbank knieten wir nieder. Andachtsvoll betrachtete ich den Innenraum. Auf einem reich geschmückten Altar standen Vasen voll mit frischen Blumen. Kerzen flackerten im Wind, der durch die kleinen geöffneten Fenster zog. Die Wände waren mit Malereien verziert.
Wie lange war es her, dass ich so eine ruhevolle Atmosphäre empfunden hatte? Ich schloss die Augen und gab mich dem Gefühl der Geborgenheit hin. Eine zärtliche Bewegung ließ mich aufschauen. Flavio hatte den Arm um mich gelegt. Ein herrliches Wohlbehagen durchströmte mich. Ein Gefühl, das ich lange vermisst hatte. Das Gefühl hieß Glück. Alle Dämme brachen. Und hier, in der Abgeschiedenheit der Kapelle, erzählte ich ihm meine Geschichte. Hin und wieder stockte ich in meiner Erzählung, wenn die Erinnerung an das Erlebte mich übermannte. Meine Stimme war kaum hörbar. Flavio ließ mich ausreden, unterbrach mich mit keinem Wort Nachdem ich geendet hatte, saßen wir stumm nebeneinander, jeder in seine Betrachtungen versunken. „Es tut mir unendlich leid, dass Du so eine bittere Erfahrung machen musstest“, sagte Flavio leise. Seine Stimme bebte und auf seinen Zügen lag ein Ausdruck von Schmerz, den ich noch nie bei ihm gesehen hatte. Er räusperte sich, sah mich an und sagte dann: „Ich muss Dir auch ein Geständnis machen. Ich hatte das schon vor, seit ich Dich kenne. Aber mir fehlte einfach der Mut
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