Tokio Killer 04 - Tödliches Gewissen
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D ER W EG DES S AMURAI FINDET SICH IM T OD .
Yamamoto Tsunetomo, Hagakure
DAS TÖTEN IST NICHT DER SCHWIERIGE TEIL. Schließlich ist es in gewissen Kreisen an der Tagesordnung. Wut macht dich stark, Panik schaltet dein Denken aus, du ziehst die Knarre, schließt die Augen, drückst ab - Himmel, so was könnte ein Affe tun, dafür muss man kein Mensch sein.
Nein, die Wahrheit ist, das Töten ist der einfache Teil. Aber in die Nähe der Zielperson zu kommen, das erfordert ein gewisses Talent. Und es »natürlich« aussehen lassen, was meine Spezialität ist, nun, da habe ich nur einen anderen Profi gekannt, der das gut hingekriegt hat. Und ich weiß nicht, ob der noch zählt, weil ich ihn nämlich getötet habe. Und keine Spuren zu hinterlassen, die zu einem führen könnten, auch das ist kein Kinderspiel.
Aber der schwerste Teil? Der T eil, den man nicht planen kann, den man erst richtig versteht, wenn es schon zu spät ist? Hinterher damit leben. Die Last dessen, was man getan hat, ertragen. Das ist das Schwerste. Selbst mit Grenzen, wie ich sie setze - keine Frauen, keine Kinder, ausschließlich Hauptakteure -, ist man danach nicht mehr derselbe Mensch. Man atmet nie wieder die gleiche Luft oder träumt die gleichen Träume. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.
Man versucht, die Zielperson zu entmenschlichen, so gut es geht. Das Ziel als Menschen wahrzunehmen, als einen Mann, wie man selbst einer ist, erzeugt Mitgefühl. Mitgefühl erschwert das Töten und löst bittere Reue aus.
Deshalb verwendet man zynische Umschreibungen und Beschönigungen: In Vietnam haben wir nie Menschen getötet, wir haben immer nur »Schlitzaugen umgelegt« oder »den Feind in Kampfhandlungen verwickelt«, genau wie in allen Kriegen. Wenn möglich bleibt man auf Distanz: Luftangriffe sind angenehm, Nahkämpfe sind grässlich. Waffen werden von mehreren bedient, lange Befehlsketten verwässern die Verantwortung, das Ichgefühl der Soldaten wird systematisch abgebaut, um es durch die Identifizierung mit der Einheit oder dem Regiment oder einer anderen Gruppe zu ersetzen. Man verdeckt Gesichter: Die Kapuze dient nicht dazu, den zum Tode Verurteilten zu beruhigen, sondern sie ermöglicht es den einzelnen Mitgliedern des Erschießungskommandos abzudrücken, ohne ein verzweifeltes Gesicht vor Augen zu haben, an das sie sich später erinnern wurden.
Aber es ist schon lange her, dass mir solche emotionalen Bewältigungsmechanismen zur Verfügung standen. Ich arbeite in der Regel allein, daher gibt es keine Gruppe, die die Verantwortung unter sich aufteilt. Ich spreche mit niemandem über meine Arbeit, Beschönigungen wären also sinnlos. Und für das, was ich mache, brauche ich einen sehr persönlichen Kontakt. Sobald ich ganz nah bin, ist keine Zeit mehr, das Gesicht der Zielperson zu bedecken oder sein Menschsein irgendwie anders zu verschleiern.
Das alles ist schon unter normalen Umständen schlimm genug. Aber diesmal beobachtete ich das Ziel auf einem Sonntagsausflug in Manila zusammen mit seiner wirklich reizenden Filipino-Familie, kurz bevor ich zuschlug, und das machte die Sache schwieriger.
Das Ziel? Sehen Sie? Alle machen das. Wenn ich mich von den meisten unterscheide, dann nur darin, dass ich versuche, ehrlicher zu sein. Ehrlicher. Eine Frage der Abstufung.
Er hieß Manheim Lavi und seine Geschäftspartner nannten ihn »Manny«. Manny stammte aus Israel, hatte seinen Wohnsitz in Südafrika und war Weltenbürger. Ja, im Laufe des Jahres reiste er viel durch die Weltgeschichte, um seine Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Bombenherstellung mit einem Netzwerk von Leuten zu teilen, die für sein Wissen zunehmend grausige Verwendung hatten. Berufe wie der von Manny hatten früher mal einen günstigen Risiko-Gewinn-Quotienten, doch nach dem 11. September konnte es passieren, dass man seinen Gewinn ziemlich schnell los war, wenn man seine Sachkenntnis an die falschen Leute verkauft hatte. Das war Mannys tragische Geschichte, wie man mir gegenüber andeutete, die ihn bei einer gewissen Regierung in Ungnade hatte fallen lassen.
Manny war am Abend aus Johannesburg kommend in Manila eingetroffen. Ein schwarzer Mercedes aus dem kleinen Wagenpark des Peninsula-Hotels hatte ihn am Ninoy Aquino Airport abgeholt und auf dem schnellsten Weg ins Hotel gebracht. Dox und ich waren bereits dort abgestiegen, ausgestattet mit erstklassigen Ersatzidentitäten, modernsten Kommunikationsmitteln und sonstiger Ausrüstung,
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