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Auferstehung 4. Band (German Edition)

Auferstehung 4. Band (German Edition)

Titel: Auferstehung 4. Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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hinteren Reihen vernehmen.
    »Wo soll er denn mit dem Mädel hin?«
    »Das ist gegen das Gesetz,« rief ein Dritter.
    »Was wollt ihr?« brüllte der Offizier und stürzte in heftiger Wut auf die Menge los. »Ich werde euch gleich beibringen, was gesetzlich ist, und was nicht. Wer hat das gesagt, du oder du?«
    »Alle haben es gesagt, denn ...« entgegnete ein Gefangener mit vierschrötiger Gestalt und dickem Gesicht.
    »Was, empören wollt ihr euch?« schrie der Offizier, »reißt das Mädel fort; ich werde euch lehren.«
    In der Menge wurde es still. Ein Soldat führte das verzweifelt weinende Kind fort, während ein anderer dem Gefangenen, der jetzt ganz still seine Hand hinhielt, die Handfesseln anlegte.
    »Bringt das Balg zu den Weibern hinüber,« rief der Offizier den Soldaten zu und schob sein Portepee am Säbel wieder zurecht.
    Das kleine Mädchen bemühte sich indessen, seine Hände aus dem Tuch zu befreien und schrie fortwährend mit blutrotem Gesicht.
    Marie Pawlowna trat aus der Schar hervor und wandte sich den Soldaten zu.
    »Wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Leutnant, so werde ich das Kind tragen.«
    Der Soldat, der das Mädchen bei der Hand hielt, blieb stehen, während der Offizier in mürrischem Tone fragte:
    »Wer bist du denn?«
    »Eine politische Gefangene, Herr!«
    Das schöne Gesicht von Marie Pawlowna und ihre großen, stark hervortretenden Augen, die er schon bemerkt hatte, als er das Kommando übernommen, machten auf den Offizier einen tiefen Eindruck. Er sah sie längere Zeit, ohne etwas zu erwidern, an, schien sich die Sache zu überlegen und erklärte dann:
    »Nehmen Sie sie meinetwegen, wenn Sie wollen. Es ist ja ganz recht, daß sie Ihnen leid thut, aber wer bürgt mir dafür, daß er nicht ausrückt?«
    »Wie sollte er denn mit dem Kinde ausrücken?« entgegnete Marie Pawlowna.
    »Ach was, ich habe mich mit Ihnen nicht zu unterhalten; wenn Sie wollen, können Sie sie nehmen.«
    »Soll ich sie übergeben?« fragte der Soldat seinen Vorgesetzten.
    »Ja, ja, gieb sie nur!«
    »Komm' zu mir her,« sagte Maria Pawlowna und versuchte nun, die Kleine zu sich herüberzuziehen.
    Doch die Kleine brüllte fortwährend weiter, versuchte, als der Soldat sie losgelassen, wieder zu ihrem Vater zurückzulaufen, und wollte nicht zu Marie Pawlowna gehen.
    »Warten Sie, Marie Pawlowna,« sagte Katuscha, und holte eine Bretzel aus ihrem Reisesack hervor.
    Das Kind kannte Katuscha, und als es ihr Gesicht und das Gebäck bemerkte, beruhigte es sich zusehends.
    Alles wurde wieder still. Das große Thor wurde aufgerissen, der Zug der Gefangenen wanderte hinaus, und nahm Aufstellung, während die Soldaten die Trennung der Sträflinge wieder vornahmen, das Gepäck auf die Wagen packten, es dort festbanden und den Schwächlichen und Kranken die Erlaubnis zum Einsteigen erteilten.
    Katuscha, die das kleine Mädchen auf dem Arm trug, ging zu den Frauen zurück und nahm neben Fedossja Aufstellung. Simonson aber, der die ganze Zeit über den Vorgang, ohne ein Wort zu sagen, angesehen hatte, trat jetzt mit festem, entschiedenem Schritt auf den Offizier zu, der alle seine Befehle erteilt und seine Anordnungen getroffen hatte und sich ebenfalls in seinen Wagen setzen wollte.
    »Was Sie da gethan haben, war schlecht, Herr Leutnant,« sagte Simonson.
    »Begeben Sie sich an Ihren Platz, das geht Sie gar nichts an,« versetzte der Offizier.
    »Doch geht es mich etwas an, und es ist meine Pflicht, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Sie unrecht gehandelt haben,« versetzte Simonson und warf dem Offizier aus seinen dunklen Augen einen durchbohrenden Blick zu.
    »Fertig, vorwärts marsch!« schrie der Offizier, ohne Simonson weiter die geringste Beachtung zu schenken; dann stützte er sich auf die Schulter des Soldaten, der bei ihm Kutscherdienste versah, und stieg in den Wagen.
    Wieder setzte sich der Zug der Gefangenen in Bewegung und wanderte hinaus in die ausgetretene, mit Kot bedeckte und durch einen dichten Wald führende Landstraße, neben der sich auf beiden Seiten tiefe Gräben hinzogen.

Zweites Kapitel
    Nach dem schwelgerischen und erschlaffenden Leben, das Katuscha in den letzten sechs Jahren in der Stadt geführt, und den zwei Monaten, die sie unter den Verbrechern im Gefängnisse verlebt, erschien ihr das Leben, das sie jetzt bei den politischen Gefangenen führte, trotz aller Mühseligkeiten und Unannehmlichkeiten, die sie zu erdulden hatte, recht schön.
    Die Etappen, bei denen sie bei kräftiger Nahrung

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