Auferstehung 4. Band (German Edition)
Septembertag ließ sich recht trübselig an. Bald darauf begann es zu regnen, dann fiel Schnee, und dazu blies ein scharfer, kalter Wind. Sämtliche Gefangenen des Transportzuges, etwa vierhundert Männer und fünfzig Weiber an der Zahl, hatten bereits im Hofe der Station Aufstellung genommen. Die einen umstanden einen alten Unteroffizier, der das Proviantgeld, das immer auf zwei Tage gezahlt wurde, an die Aeltesten verteilte; die andern kauften den Hökerinnen, denen man den Zutritt in den Hof gestattet hatte, Lebensmittel ab.
Man hörte ein lautes Stimmengewirr unter den Gefangenen, welche das Geld nachzählten und ihre Einkäufe besorgten, und dazwischen ertönte das Gekreisch und Geschrei der Hökerweiber.
Katuscha und Marie Pawlowna, die beide große Stiefel und Halbpelze trugen, welche sie sich mit dicken Tüchern festgebunden hatten, traten aus dem Schlafsaal der Etappe in den Hof hinaus und wandten sich den Marktweibern zu, die an der Nordmauer postiert waren, und hier, vor dem Winde geschützt, ihre Ware ausschrieen, die in frischen Broten, Piroggen (Brotkuchen), Nudeln, Fischen, Backwaren, Graupen, Hasen, Rindfleisch und Milch bestand. Die eine bot sogar ein gebratenes Ferkel feil.
Simonson, der einen Regenmantel und Gummischuhe trug, die er über seinen seidenen Strümpfen mit Bindfaden festgebunden hatte, – er war strenger Vegetarier und gebrauchte deshalb nichts, was aus dem Fell getöteter Tiere hergestellt wurde – stand auf dem Hofe, und wartete, daß der Aufbruch der Abteilung befohlen wurde. Er stand im Vordergrunde und schrieb sich eine Betrachtung, die ihm plötzlich, aufgefallen war, in sein Notizbuch. Diese Betrachtung lautete folgendermaßen:
»Wenn eine Bazille den Finger eines Menschen untersuchte und beobachtete, so würde sie ihn als ein unorganisches Wesen ansehen. Und ebenso sehen auch wir, wenn wir uns mit der Betrachtung der Erdrinde beschäftigen, diese als ein unorganisches Wesen an. Das entspricht aber nicht der Wahrheit.«
Katuscha kaufte Eier, frische Bretzeln, die auf eine Schnur gereiht waren, Fische und frische Brötchen ein, und packte das alles in ihren Reisesack, während Marie Pawlowna die Hökerin bezahlte. Plötzlich machte sich unter den Gefangenen eine heftige Bewegung bemerkbar, alles wurde still, und die Gefangenen fingen an, Aufstellung zu nehmen. Dann erschien der Offizier und erteilte die letzten Anordnungen, bevor der Aufbruch erfolgte.
Alles spielte sich genau so wie sonst ab. Man nahm die Abzählung der Gefangenen vor und untersuchte die Fesseln.
Plötzlich aber stieß der Offizier einen wütenden Ruf aus, während sich das weinerliche Geschrei eines Kindes vernehmen ließ. Alles wurde auf eine Sekunde ruhig, dann erhob sich ein dumpfes Murren aus der Menge. Katuscha und Marie Pawlowna wandten sich der Stelle zu, wo sie den Lärm vernommen hatten.
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Als Marie Pawlowna und Katuscha in die Nähe der Stelle kamen, wo sich der Lärm erhoben hatte, erblickten sie den Offizier, einen Mann von untersetzter Gestalt mit langem blonden Schnurrbart, der heftig schimpfte und dazu zornige Grimassen schnitt. Vor ihm stand in einer ganz kurzen Bluse und noch kürzeren Hose ein hochgewachsener Gefangener von magerer Gestalt und glattrasiertem Kopf, der in den Armen ein kleines Mädchen hielt, das in ein dünnes Tüchelchen gewickelt war und heftig weinte.
»Ich werde dich lehren, auch noch Redensarten zu machen,« brüllte der Offizier, »bringt mal Handschellen her!«
Der Offizier hatte befohlen, man solle dem Gefangenen, der das kleine Mädchen den ganzen Weg über auf den Armen trug, Handfesseln anlegen. (Dieses Kind hatte ihm seine Frau, die in Tomsk am Typhus verstorben war, hinterlassen.) Der Sträfling hatte erklärt, er könne das Kind mit Fesseln an den Händen nicht tragen, und diese Bemerkung hatte den Offizier, der überdies schon übel gelaunt war, in die höchste Wut versetzt. Dem Gefangenen gegenüber standen ein Soldat und ein anderer Gefangener von kräftiger Gestalt mit schwarzem Vollbart, der Fesseln an der Hand trug und den Offizier mit düsterer Miene von unten herauf anstarrte, denn er nahm an, er solle mit dem Vater des kleinen Mädchens zusammengekoppelt werden.
Der Offizier erteilte dem Soldaten noch einmal den Befehl, das Mädchen fortzureißen, und das dumpfe Murren unter den Gefangenen wurde jeden Augenblick stärker.
»Er hat ja schon seit Tomsk keine Handschellen mehr getragen,« ließ sich eine feine Stimme aus den
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