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Aufgeflogen - Roman

Aufgeflogen - Roman

Titel: Aufgeflogen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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kam.
    Wir hatten die Stunden inzwischen zu mir nach Hause verlegt. Eigentlich brauchte Isabel keine Nachhilfe mehr, sie war in Mathe auf dem aktuellen Stand. Und was den Englischunterricht anging   … Nachdem ihr aufgefallen war, dass ich auch früher gut in Englisch gewesen war, hatten wir gewechselt. Ich lernte jetzt Spanisch bei ihr. So fühlte ich mich ihr näher. Außerdem brauchten wir einen offiziellen Grund, um uns zu treffen. Einfach so Zeit miteinander verbringen, das kriegten wir noch nicht hin.
     
    Isabel war beeindruckt von unserer Wohnung, von der Dachterrasse, vor allem aber von Jim Knopf. Meinen Eltern gegenüber war sie unsicher. Kein Wunder. Mom war sehr herzlich, aber dabei musterte sie Isabel von oben bis unten. Dad kam eigens eher aus der Kanzlei   – hatte Mom ihn angerufen?   – und gab den jovial schmunzelnden Papa.
    »Entschuldigen Sie meine Neugier«, sagte er, als er auf Isabel zuging. »Aber Christoph stellt uns sonst nie seine Freundinnen vor.«
    Danke, Dad. Super. Dieses Mal war auch das letzte Mal.
    Das Dümmste an seinem Spruch war allerdings, dass Isabel noch gar nicht meine Freundin war. Obwohl wir uns seit Monaten kannten. Alles, was bei anderen funktionierte, blieb bei ihr ohne Wirkung.
     
    Trotzdem war es der schönste Frühling meines Lebens. Wir lagen auf der Dachterrasse, wir saßen am Wannsee unter einem Baum, wir gingen durch den Zoo. Wir waren überall da, wo es uncool war, wo alle anderen aus unserer Klasse nicht waren.
    Wir redeten über die Schule, die Lehrer, die Mitschüler.
    Über das, was wir lernen mussten.
    Über die Stadt, über Kino oder Musik.
    Tabu waren folgende Themen:
    Isabels bisheriges Leben, ihr aktuelles Leben, ihre Zukunft. Eigentlich fast alles, was mich interessierte.
    Nur manchmal blitzte etwas auf von ihren Träumen, von ihrer Sehnsucht, von ihren Gefühlen, von ihren Wünschen. Doch sie deckte es gleich wieder zu mit Sachlichkeit oder einem abrupten Themenwechsel.
    »Was willst du studieren?«
    »Das weiß ich noch nicht. Und du?«
    Typisch. Sie gab die Frage zurück.
     
    Bei jedem anderen Mädchen hätte ich längst aufgegeben. Liebe kann warten, das war nicht mein Spruch. Aber ich wartete. Ich wusste, dass ich sie verlieren würde, wenn ich ihr zu nahe kam. Sie zog die Grenzen. Ich akzeptierte.
     
    Es war grotesk, aber alle hielten uns längst für ein Paar. In der Schule hießen wir nur noch Chrisabel,was ich gar nicht komisch fand. Meine Eltern löcherten mich mit Fragen zu Isabels Familie. Sie wollten sie gerne einladen.
    »Jetzt tu doch nicht so geheimnisvoll«, sagte meine Mutter zu mir.
    Sie konnte nicht ahnen, dass ich so wenig erzählte, weil ich selbst nichts wusste. Daher sagte ich wenigstens das, was ich bisher erfahren hatte: dass Isabel alleine mit ihrer Mutter lebte. Meine Eltern stürzten sich mangels anderer Informationen auf dieses Detail.
    »Besonders wohlhabend scheinen sie nicht zu sein, aber das ist bei Alleinerziehenden ja oft so«, stellte meine Mom fest, immer ganz Expertin.
    »Will der Vater nicht zahlen, kann er nicht oder ist er sogar unbekannt?«, fragte Dad, der Jurist.
    Mom hatte Isabel nur einmal taxiert und dann festgestellt, dass die gesamte Kleidung, die sie trug, keine 50   Euro wert war. »Aber manchen Mädchen steht einfach alles«, sagte sie und seufzte. »Warum wirkt ein T-Shirt für fünf Euro an mir wie ein Lappen und deine Isabel sieht darin so toll aus?«
    Weil sie toll ist, dachte ich. Aber ich sagte es lieber nicht.
     
    Und dann machte ich einen entscheidenden Fehler. Sie hatte mir ihren Geburtstag verraten und ich schenkte ihr Klamotten, teure Klamotten. Mom hatte mich beraten. Ich fühlte mich super, als ich sie am15.   Juni mit mehreren Päckchen überraschte. Wir saßen in meinem Zimmer, sie packte eines nach dem anderen aus, sah sprachlos auf all die Sachen, dann auf mich.
    Ich dachte, gleich fällt sie mir vor Dankbarkeit um den Hals. Aber sie war verletzt, wütend.
    »Bin ich Aschenputtel für dich?«, rief sie. »Schämst du dich, weil ich so einfach angezogen bin?«
    Sie warf alles auf den Boden und rannte zur Tür. Ich versperrte ihr den Weg. Sie schrie, sie ging auf mich los. Sie hatte nicht nur Temperament, sie hatte auch Kraft. Ich konnte sie kaum festhalten.
    Meine Eltern waren nicht im Haus und ich war froh darum. Aber ich hörte das Winseln von Jim Knopf. Vermutlich saß er vor der Tür und dachte dasselbe wie ich: Gleich hat meine letzte Stunde geschlagen.
    Ich hielt ihre

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