Auge um Auge - Moonbow #1 (German Edition)
Nacht wieder einmal seinen Rausch im Auto ausschlief, leitete er die Abgase des Wagens einfach ins Innere um. Ein Drama, genauso zu sterben, wie die Nazis millionenfach gemordet hatten, aber noch würdiger, als dieser eigentlich verdient hatte. Er hatte unbedingt einmal ausprobieren wollen, wie lange eine Vergasung dauerte.
Danach hatte er sich unendlich befreit gefühlt. Befreit von seinem depressiven Alten, dessen Schwäche und schwachsinnigen Vorstellungen, befreit von dem Druck, ein anderer sein zu müssen, befreit von der Last, nicht so sein zu dürfen wie sein ehrenwerter Großvater Karl. Karl Erich Braun, dem es gelungen war, die United States Army an der Nase herumzuführen und als ehemaliger SS-Agent mit Leib und Seele 1947 aus dem Militärstützpunkt Camp King von den Amis rekrutiert zu werden. Er entkam den grausamen Foltermethoden der Amerikaner, obwohl er niemals sein Vaterland wirklich verließ. Zumindest nicht im Herzen.
Das Geschick und die Raffinesse seines Opas hatte er geerbt. Wie sollte ihn also jemand aufspüren, wenn schon sein Großvater es geschafft hatte, die CIA zu verarschen und trotz seiner Tätigkeit bei der Gestapo danach sogar für den BND zu arbeiten?
Er war über den großen Teich gegangen, um sich als Waisenkind bei den Amis im Militär ausbilden zu lassen. Disziplin war es, hatte sein Opa immer gesagt, die ihn zu dem gemacht hatte, was er war, und Michael nahm sich das zum Vorbild, doch galt sie nur seinen eigenen Zielen. Das Militär war lediglich ein kleiner Schritt zu seinem wahren Ich gewesen – zum Bluthund.
Niemand befehligte ihn mehr, er tat, was in seiner Natur lag, was seine Bestimmung war. Das Schöne daran war, dass es ein paar Leute gab, die dachten, es wäre umgekehrt.
Er lächelte und schenkte sich Kaffee nach. Ja, er hatte Blut geleckt. Das ganze Projekt, das Max Mayderman nur mit seiner Hilfe aufziehen konnte, war sein Camp King. Ohne ihn wäre Max ein Scheißdreck. Ein kleiner Irrer ohne die ausführende Hand. Hätte kein einziges seiner fünf göttlichen Superkinder unversehrt erhalten. Hätte die Polizei, die Behören, Detektive, die Eltern … irgendwen oder alle zusammen auf den Fersen gehabt, die sein Riesenprojekt längst zum Scheitern gebracht hätten. Und Max’ wichtigstes Subjekt View hätte einen seelischen Knacks bekommen, wenn sie auf herkömmlichem Wege entführt worden wäre. Da hätte er das sensible Ding gleich aufhängen können, denn wie alles im Leben hatte auch ihre unfassbare Sehergabe einen wunden Punkt, eine Kehrseite. Ging ein solch sensitives Kind seelisch kaputt, ähnlich wie sein dämlicher Erzeuger Hans, war es zu nichts mehr zu gebrauchen.
Wenn View nun wegen Max’ Unvorsichtigkeit kaputtgegangen war, so war dies zumindest nicht seine Schuld.
Während er sich das Gespräch zwischen Braxton und View anhörte, speicherte er Views Position von vor sechs Stunden ab und markierte sie auf seinem GPS. Am Ende der Juan-de-Fuca-Straße , schon im Pazifischen Ozean, nahe der Südostküste von Vancouver Island. Schon eine Weile her, die Information, und vielleicht war sie längst woanders oder bereits abgesoffen, aber immerhin ein Anhaltspunkt. Was wollte sie dort? Er kam nicht dahinter, so sehr er auch grübelte. Später!
Er packte seine Sachen zusammen, als sein Handy vibrierte. Mayderman! Was wollte der so früh?
Er lauschte Max’ Worten und legte auf. Heilige NS-Zeit, er hätte selbst darauf kommen müssen.
Max hatte ihm von Touchs Rückkehr ins Labor berichtet. Dem Zurückspringen in den eigenen Körper. Absolut unglaublich, aber eben nicht unmöglich, er kannte die Fähigkeiten der fünf ja.
»Verflucht!« Schlagartig wurde ihm Views Verhalten klar, die Entscheidungen, die angeblich sie getroffen hatte. Sie war ausgebrochen, durch die Wälder geflohen, ihm im Hotel, auf dem Bettlerparkplatz und am Takumi-Restaurant entkommen – aber Touch hatte das alles eingefädelt. Touch hatte View gesagt, was sie tun und wohin sie gehen sollte. Er hätte selbst darauf kommen müssen, doch er hatte sich zu sehr auf die junge Frau versteift. Völlig außer Acht gelassen hatte er, dass sie überhaupt nicht der Typ dafür war, weder die Courage noch den Schneid für diese Aktionen aufbringen würde.
Ihm hätte klar werden müssen, dass sie nicht allein war. Schon ihr sonderbarer, unerwarteter Ausbruch hatte darauf hingedeutet, denn damit hatte zu Recht niemand gerechnet. Schließlich hatte sie tagein, tagaus freiwillig in ihrem Zimmer
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