Auge um Auge - Moonbow #1 (German Edition)
es niemandem verübeln, langsam unruhig zu werden. Es lag inzwischen auf der Hand, dass ständig mehr Menschen ihr Augenlicht verloren. Die Pressesprecher der Regierungen beruhigten die Leute, schwafelten Belangloses, Ausweichendes, Abmilderndes. Einige Experten sprachen von einer mutierten Augenkrankheit, wofür es derzeit noch keine Behandlungsmethode gäbe und noch das Heilmittel gefunden werden müsse. Das hielt die Gläubigen aber nicht davon ab, von Prophezeiungen zu sprechen, Fanatiker von der Apokalypse und Jugendliche der Scheißegalfraktion von Pech. Anja fand die Berichte um eine neuartige Pandemie am schlüssigsten. Diese Erklärung jagte ihr zwar am meisten Angst ein, aber ein Gott, der seine Schäfchen erblinden ließ, damit sie wieder sehen lernten – nein, so weit reichte ihre Fantasie dann doch nicht.
Die Polizisten hinter dem Tresen hörten den Leuten aufmerksam zu, nahmen Daten auf. Sie hob kurz die Hand, doch es war zwecklos, niemand reagierte auf sie. Außerdem wusste sie ja, wohin sie sollte. Ein sanfter Zweifel meldete sich. Durfte sie einfach über die Flure und zum Büro des Sergeanten Majors gehen? Sie fand, ja. Er hatte sie schließlich herbestellt. Wahrscheinlich erwartete er sie erst in einigen Minuten oder gar Stunden. Dann würde sie eben vor seiner Tür warten, da war sicher nicht so ein Tumult.
Aufrecht, als wäre sie hier angestellt, ging sie über die Flure und blieb mit erhobener Hand vor der Bürotür mit Eds Schildchen stehen.
»Nein, verdammt!«
Anja zuckte fürchterlich zusammen und ließ den Arm irritiert sinken. Das war aus dem Zimmer des Sergeanten Majors gekommen. Eine unbekannte, männliche Stimme. Laut. Herrisch. Befehlston. Wenn sich Ed ebenfalls in dem Raum befand, dann konnte es sich nur um einen höherrangigen Polizisten handeln. Wer sonst würde den netten Ed so anschnauzen? Sie wandte sich ab, um zu gehen.
»Wir müssen sie aber warnen.«
Anja blieb wie angewurzelt stehen. Sie wollte gehen, doch ihre Beine bewegten sich nicht. Schlechtes Gewissen hin oder her, es könnte um sie gehen.
»Sie können nicht einfach hier hereinschneien und meine Ermittlungen stören«, sagte Ed.
»Wir können«, sagte der andere süffisant, »das wissen Sie. Die Ermittlung leiten nun wir. Sie halten sich ab jetzt raus.«
»So einfach lasse ich mich nicht abspeisen«, brummte Sergeant Major Raulson.
»Sie dürfen die Information keinesfalls an diese Frau weiterleiten. Das ist streng geheim. Außerdem kann sie damit sowieso überhaupt nichts anfangen und wenn doch, bringt es sie nur in Lebensgefahr. Spielen Sie hier nicht den freundlichen Dorfpolizisten, das sind Anweisungen von oben. Also halten Sie sich raus. Verstanden? Sonst steht Ihr Schreibtisch demnächst in Alaska.«
Anja hielt die Luft an. Die durften, die konnten doch nicht …
»Ich soll ihr ernsthaft sagen, dass wir nichts wissen, was uns der Lösung und damit möglicherweise ihrem entführten Sohn näher bringt?«
Der Sergeant Major klang unterdrückt wütend, gleichzeitig aber auch resigniert. Sie hatte sich nicht in seinem Charakter getäuscht. Doch würde er sich höchstwahrscheinlich nicht gegen Anweisungen von oben stellen und seinen Job riskieren. Wer zum Teufel war das auf dem Foto? Ein gesuchter Verbrecher? Warum hatten die deutschen Behörden ihn dann noch nicht in ihrer Vergleichsdatei?
»Sie sagen ihr nur, dass es leider keine Treffer gab.«
»Was ja auch stimmt«, sagte Raulson leise, Anja verstand ihn kaum durch die Tür.
»Dieser Bloodhound wird seit Jahren gesucht, aber es gab nie eine heiße Spur. Jetzt hat eine Kombination von ein paar dünnen Anhaltspunkten möglicherweise einen Durchbruch gebracht. Es ist zu wichtig, um die Ermittlungen auch nur im Ansatz zu gefährden. So, und nun regeln Sie das mit der Dame und überlassen den Rest uns. Guten Tag.«
Das konnte doch alles nicht wahr sein. Oder doch? Bloodhound … Sie erschauderte innerlich. Ein Bluthund, der ihren Sohn entführt hatte. Feinste Eissplitter torpedierten ihr Herz.
»Hallo?« Anja fuhr ertappt herum. »Kann ich Ihnen helfen?« Eine Polizistin musterte sie streng vom Flurende aus.
Anja lächelte sie an. »Nein, danke. Sehr freundlich. Sergeant Major Ed Raulson erwartet mich«, sagte sie laut und klopfte gleichzeitig an die Bürotür.
Die Tür öffnete sich mit einem Ruck. Vor ihr stand ein Mann etwa in ihrem Alter. Er trug unübersehbar eine goldene FBI-Marke an der Gürtelschnalle. Warum mischte sich die
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