Auge um Auge - Moonbow #1 (German Edition)
für die Suche nach Flo ausgeben, bevor es Uwe noch erhielt, falls seine Anwälte es schafften, die Tatsachen zu verdrehen, damit er die Scheidung zu seinen Konditionen durchboxen konnte.
Anja packte in Windeseile ihren Koffer, schüttete ihn wieder aus und verfrachtete ein Viertel vom Inhalt in einen großen Wanderrucksack, den sie noch nie benutzt hatte. Sie musste beweglich sein. Sie hätte sich besser vorbereiten sollen. Schon vor Wochen, ach, Monaten. Sport treiben, fit werden. Sie biss die Zähne zusammen. Keine Tränen mehr! Fit werden konnte sie unterwegs.
Papiere, Kreditkarten, Bargeld, Fotos von Flo. Ihren Laptop, auf dem sie seit Florians Verschwinden jede Spur, jeden Hinweis, jeden noch so kleinen Funken Hoffnung gespeichert hatte. Sie packte einen Karton mit wichtigen Unterlagen, einen mit Fotoalben und einen mit Flos Lieblingsspielzeug. Ihren wenigen, aber teuren Schmuck hinterlegte sie im Safe ihrer Bank. Die Wohnung samt Inhalt konnte ihr gestohlen bleiben. Hier hatte sie die schlimmsten Jahre ihres Lebens verbracht. Nichts davon wollte sie mehr haben. Mit dem Geld, das der Makler durch den Verkauf erzielen würde, würde sie ein neues Leben beginnen.
Mit heftig pochendem Herzen sah sie sich in der Wohnung um, schritt langsam die Räume ab. Sie wollte niemals zurückkehren, ob sie Flo nun fand oder nicht. Hatte sie etwas Wichtiges vergessen?
Ja, eine Entschuldigung. Sie strich mit dem Zeigefinger über die Marmorplatte in der offenen Küche. Vor einem Jahr hatte sie die Putzfrau Sylvie nicht mehr ertragen, wie sie singend und pfeifend durch das Penthouse wuselte und ihr Berge von Essen und aufmunternde, französische Worte servierte. Die Arme hatte es nur gut gemeint, aber Anja hatte es zu der Zeit nicht ertragen.
Kurz entschlossen rief sie Sylvie an und fragte, ob sie etwas Kleidung, Geschirr und Spielzeug geschenkt haben wolle, weil sie spontan umziehen müsse. Sylvie schmollte zuerst, doch nach einigen erklärenden Worten freute sie sich sehr und wünschte ihr Bonne chance! bei der Suche nach Florian. Wenigstens eine Mutter von fünf Kindern versuchte nicht, sie von dem Wahnsinn abzuhalten.
Vier Expressmöbelpacker packten nach ihren Anweisungen rasch über zwanzig Kartons und würden sie bei Sylvie abliefern. Ein leises Schmunzeln hob kurz ihre Lippen, als sie sich Sylvies überraschtes Gesicht vorstellte. Sie drehte zum allerletzten Mal den Schlüssel des Türschlosses, wandte sich um und ging.
Auf dem Weg zum Flughafen ließ Anja das Taxi noch rasch an der Straße zu ihrer Tierhandlung anhalten und kaufte eine flugtaugliche Katzenbox, in der Zorro sofort abtauchte. Der alte Tierarzt stellte ihr großzügig eine Kopie des Impfpasses und ein Gesundheitszeugnis für Zorro aus. Zum Glück war alles aktuell. Allmählich sickerte ihr ins Bewusstsein, wie kurzschlussartig ihre Reaktion war, doch das konnte sie weder schrecken noch abhalten.
Anja lehnte sich an das Lederpolster des Taxis und steckte die Hand in die Box. Sie streichelte Zorro und ignorierte das unterschwellige Knurren. Ihm schien alles lieber zu sein, als auf ihrem Schoß zu sitzen, so, wie er sich in die hinterste Ecke drängte. Aber das störte sie nicht. Zorro und sie waren die Einzigen, die noch daran glaubten, Florian lebend zu finden. Es hätte sie maßlos enttäuscht, wenn er sein geliebtes Herrchen so rasch vergessen hätte. Er schenkte ihr Zuversicht, auch wenn das kleine Biest sie hasste. »Wir zeigen es allen. Du und ich. Wir finden Flo.«
Auf dem Rhein-Main-Flughafen checkte sie mit Zorro in die nächstbeste Maschine nach London ein, um über Chicago nach Los Angeles zu gelangen. Sie ließ sich erschöpft, aber erleichtert in der Goethe Bar nieder. Zorro schnüffelte an der kurzen Leine über den Boden. Sie bestellte Wasser für den Hund und für sich einen doppelten Espresso. Während sie wartete, sah sie sich auf dem betriebsamen Terminal um.
Der einzige Hinweis auf Florians Verbleib war eine sehr schlechte Fotografie eben auf diesem Frankfurter Flughafen. Es hatte sie Wochen an Recherche gekostet, um dieses unerlaubt gemachte Handyfoto eines Privatreisenden zu finden und zu erhalten. Der Privatdetektiv, der sich schlicht Holmes nannte, und sich am Telefon ebenso verschroben und intellektuell gab wie der bekannte Sherlock, hatte sich mit ihrem Einverständnis ebenfalls in die USA aufgemacht. Seinem Ruf zufolge war er einer der Besten, und seine Dienste verschlangen fünfhundert Euro pro Tag. Holmes’ Aussage
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