Augen für den Fuchs
Ich drücke den Schalter. Das Licht taucht alles in Weiß. So muss das Jenseits aussehen. Weißer als weiß, heller als die Sonne.
Ihr Bett steht im Eck. Am Fenster bewegt der Wind sacht die Gardine. Sie schläft. Sie vertraut mir. Sie will nicht schreien. Sie muss es nicht. Die Klinge blitzt, als sie in den Hals schneidet. Blut läuft mir über die Finger. Rot, röter, braun, schwarz. Das Mädchen öffnet die Augen. Maria! Die Kati in Todesangst. Das schönste Gesicht des Sozialismus! Sie reißt den Mund auf. Greift mir in den Arm. Auf ihren Lippen zerplatzen Blasen. Sie gurgelt. Ein Laut, als wäre ein Hirsch in der Brunft. Scheiße! Verdammte Scheiße! Meine Traumfrau entschwindet mir, schreit, stürzt zur Tür. Maria! Maria! Maria! Sie will mich verraten! Warum nur? Dieses Biest! Diese Hexe! Sie hat mich doch selbst eingeladen. Sie wollte es. Ich will es. Jetzt!
Meine Hand liegt auf ihrem Mund. Sie beißt, fuchtelt mit den Armen. Es ist kein Spiel mehr. Sie hat alles verdorben. Schlampe! Das Messer liegt irgendwo. Ich reiße ihr das schöne Köpfchen nach hinten. Es knackt. Und das Blut läuft und läuft. Meine Hände sind nass, glitschig. Maria! Du, meine Kati! Sie rutscht in sich zusammen. Ein Gliederpüppchen, das ich zum Bett schleifen muss. Sie liegt da, als würde sie schlafen. Aber die Augen. Ihre Augen! Sie gaffen. Sie haben alles gesehen. Sie sehen mich. Sie erkennen mich wieder. Irgendwann werden sie mich auch verraten.
Ich hebe das Messer neben dem Bett auf. Kati röchelt. Marias Blut spritzt auf das Laken, die Steppdecke, die schöne Tapete. Ich drücke meine Hand auf die Wunde. Kati soll nicht auslaufen, wenn ich mit ihr schlafe. Ich will die ganze Frau, keinen Hautsack. Warum tut sie mir das an? Liebe ist rein. Kati macht alles dreckig. Ich schiebe ihr das Nachthemd über den Kopf. Sie lässt es geschehen. Sie schreit nicht. Kein Laut. Nichts. Es ist so weit. Lass es doch niemals vorbei sein!
Aber ihre Augen. Sie sehen alles. Wir sind nicht allein. Maria! Maria! Maria!
Ich greife zur Klinge und fahre dem Gliederpüppchen unter das Lid. Als würde man den Griebsch aus einem halben Apfel entfernen. Spitz zu und dann drehen. Ganz einfach. Ganz leicht. Ich werfe ihre Augen aus dem Fenster in den Garten. Die Hunde werden sie fressen. Oder der Fuchs. Jetzt ist Kati blind. Dunkle Höhlen. Ein Schlund.
Jetzt wartet die Kati. Endlich. Ich habe ihre Liebe verdient. Sie öffnet die Beine, Katharina. Ich bin daheim, in ihr drin, sie wehrt sich nicht mehr. Oh! Maria! Maria! Maria! Ich liebe dich!
1
Mörder! Monster! Menschenschlächter! Er hörte die Sprechchöre und blickte in die vorwurfsvollen Gesichter. Er hörte sich stammeln. Er sagte kein verständliches Wort. Zum Abschuss freigegeben! Sie waren kaum zwanzig! Es waren noch Kinder! Die Zeitungen hatten ihr Urteil gesprochen. Die Meute hatte sich auf ihn eingeschossen. Er war das gefundene Fressen. Kriminaldirektor Konstantin Miersch stand am Pranger und konnte der öffentlichen Wut nichts entgegenhalten. Die Fakten lagen klar: Er trug die Verantwortung für den Einsatz. Es war sein Job. Er gab die Befehle. Jetzt hatte es Tote gegeben, Verletzte.
Zwei junge Männer, Philip Thede und Robert Zehmisch, hatten die Gäste eines Restaurants gekidnappt und waren mit Geiseln und erpresstem Lösegeld über die Grenze geflohen. Ja, es stimmte: Er, Konstantin Miersch, hatte den tödlichen Fangschuss befohlen. Zumindest hatte er ihm als letztes Mittel, Gefahr abzuwenden und Leben zu retten, zugestimmt. In den Bergen Serbiens waren die Flüchtenden mit Gewalt gestoppt worden. Das Auto hatte gebrannt. Alle Insassen konnten lebend geborgen werden. Die letzte Geisel überlebte schwer verletzt. Robert Zehmisch verstarb im Armeekrankenhaus Prizren. Philip Thede vegetierte im Wachkoma. Miersch konnte das Leid und die Wut der Familien der Geiselnehmer verstehen. Die Hetzjagd auf ihn, den Kriminaldirektor, verstand er nicht.
Mörder Miersch! Täter vor Gericht! Die Mutter des hirntoten Philip Thede hatte zum Krieg gerüstet. Journalisten berichteten gierig vom Kampf der Frau um die Rehabilitation ihres Kindes. Den komatösen Sohn hatte sie publikumswirksam ins Pflegeheim einweisen lassen. Die Mutter barmte öffentlich: Allein ist’s nicht zu schaffen! Robert Zehmisch war unter großer medialer Anteilnahme bestattet worden. Mutti Thede weinte wie ums eigene Kind. Woher nimmt diese Frau ihre Kraft?, fragte Kriminalreporter Joseph Hönig auf Seite eins. Fast in
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