Aus dem Leben eines plötzlichen Herztoten - Tagebuch eines Tagebuchschreibers
Fahrrad, dachte ich.
Ich wurde aus dem Notarztwagen in die Rettungsstelle verfrachtet, dort in alle möglichen Röhren geschoben, an jeden Flugschreiber angeschlossen, und dann erklärte mir der diensthabende Rettungsstellenarzt, man habe zwar alles für die »Lyse« vorbereitet, aber so, wie er meinen Zustand beurteile, brauche ich keine mehr. Das hieß, sie hatten mich aufgegeben. Die teure Maßnahme würde sich nicht mehr lohnen, später bei der Abrechnung bemängelt dann die DAK: Warum habt ihr dem Zippert denn noch das Blut verdünnt, fünf Minuten vor dem Exitus? Das zahlen wir aber nicht.
Vor meinem Ableben musste ich noch die Beine heben, erst einzeln, dann zusammen, dann die Arme, dann die Mundwinkel, und zum Schluss sollte ich pfeifen. Arme, Beine und Mundwinkel konnte ich heben, links etwas schwerfälliger als rechts, aber das Pfeifen klang jämmerlich. Der Arzt nahm die Pfeifgeräusche ungerührt zur Kenntnis, sie haben da auf der Rettungsstelle sicher schon die schrecklichsten Töne gehört, jedenfalls wusste er Bescheid: »Dissektion der ICA rechts, mit Ischämie im MCA-Gebiet rechts und sensomotorischer Hemiparese links.« Oder wie der Lateiner sagt: »Schlaganfall mit linksseitiger Lähmung, verursacht durch einen Riss in der rechten Halsschlagader.«
Der Arzt versuchte zu erläutern, wie es dazu kommen konnte: Schleudertrauma, ruckartige Bewegungen beim Sport, auch beim Zurückbeugen ins Friseurwaschbecken kann die Ader reißen. Oder wenn man sich ein Kind auf die Schultern setzt. Das konnte es gewesen sein. Mein Sohn war 23, ein Wahnsinn, sich so einen Kerl auf die Schultern zu setzen, weshalb ich es eigentlich auch seit Jahren nicht mehr getan hatte. Die nächsten 24 Stunden verbrachte ich in der Stroke Unit, das ist so etwas wie die Soko »Schlaganfall«. Ich trug die Anstaltsuniform, einen hellblauen Schlafanzug, und war komplett verkabelt. Auf verschiedenfarbigen Monitoren wurden Herzschlag, Blutdruck und Sauerstoffsättigung angezeigt, durch einen Perfusor lief blutverdünnendes Heparin in mich hinein, und wäre ich Privatpatient gewesen, hätte ich Sky-Empfang gehabt. Gegen 21:30 Uhr trat Werner, der diensthabende Pfleger mit düsterer Miene an mein Bett und sagte: »Schlechte Nachrichten, Herr Zippert. Arminia liegt 0:1 zurück.« Er hatte mitgekriegt, dass ich in Bielefeld geboren war. Ich dachte, Schlaganfall allein reicht wohl noch nicht, dann schlief ich ein und verbrachte wegen der vielen Kabel und Schläuche eine etwas unruhige Nacht.
Am nächsten Morgen kam mein Sohn mit meinem Koffer, ich gab ihm die Vorhänge und er überreichte mir die aktuelle Ausgabe der Welt , in der ein Kollege einen Nachruf auf mich verfasst hatte. Obwohl, die wussten ja gar nicht, dass mich der Schlag getroffen hatte. Es ging nur um mein zehnjähriges Dienstjubiläum als Kolumnist, und der Kollege fragte sich: »Wie schafft er das bloß?« Die Frage hätte ich in dem Augenblick wirklich nicht beantworten können, ich hatte Wichtigeres zu tun. Beispielsweise in zugigen Gängen im Rollstuhl sitzen und darauf warten, dass jemand Röntgenaufnahmen von mir machte oder mich ultraschallte.
Außerdem fragte ich mich, wie sage ich es meinen Angehörigen? »Du, Schatz, ich hatte einen Schlaganfall, aber mach dir keine Sorgen.« Ich konnte den Aufschrei am anderen Ende der Leitung förmlich hören. »Hallo, Schatz, ich komme etwas später nach Haus, ich hatte noch eine Ischämie im MCA-Gebiet rechts.« Das klingt doch gleich viel netter, könnte auch ein Auffahrunfall im Gewerbegebiet gewesen sein.
Meine Mutter nahm es erstaunlich abgebrüht auf: »O Gott, musst du etwa Marcumar nehmen?« Sie war Krankenschwester von Beruf und hatte recht. Nach meiner Entlassung sollte tatsächlich die Marcumar-Therapie beginnen. Meine Mutter war seit Jahrzehnten pensioniert, ich wunderte mich, dass man den Schlaganfall immer noch mit derartig altmodischen Mitteln behandelte. Andererseits ist der Schlaganfall auch eine ganz alte Krankheit. Marcumar enthält einen ähnlichen Wirkstoff wie Rattengift, das Blut der Tiere wird dadurch so stark verdünnt, dass sie innerlich verbluten. Ratten sterben dafür so gut wie nie an einem Schlaganfall.
Jedem, der sich einen Schlaganfall zulegen will, kann ich nur empfehlen, ihn in Berlin, im Einzugsbereich des Campus-Mitte zu bekommen. Die dortige Stroke-Unit ist ganz hervorragend, und wenn man es überlebt, wird man auf die Neurologie im 19. Stock verlegt. Die beste Aussicht der ganzen Stadt.
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