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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Messerchen klappt. Die Wurst spritzt. Der Verteidiger schweigt. Der höchste Richter sieht den Angeklagten. Der ist weit unten. Er ist ein Floh. Der höchste Richter schüttelt den Kopf. Sein Blick ist Verachtung.
    Der höchste Richter beginnt zu sprechen. Seine Worte sind Schwerter der Gerechtigkeit. Sie fallen wie Berge auf den Angeklagten. Seine Sätze sind Stricke. Sie geißeln. Sie würgen.
    Sie töten. Das Fleisch ist zart. Es ist süß. Es zergeht wie Butter. Die Haut ist etwas zäher. Die Wände dröhnen. Die Decke ballt die Fäuste. Die Fenster knirschen. Die Türen rütteln an den Angeln. Die Mauern stampfen mit den Füßen.
    Die Stadt erbleicht. Die Wälder verdorren. Die Wasser ver-dampfen. Die Erde bebt. Die Sonne stirbt. Der Himmel fällt zusammen. Der Angeklagte wird verdammt. Der Tod öffnet sein Maul. Das Messerchen legt sich auf den Tisch. Die Finger sind klebrig. Sie fahren über die schwarze Robe. Der höchste Richter schweigt. Der Saal ist tot. Die Luft ist schwer. Die Lungen sind voll Blei. Die Menschen zittern. Der Angeklagte klebt am Stuhl. Er ist verdammt. Er darf eine letzte Bitte tun.

    13

    Er kauert. Die Bitte kriecht aus seinem Hirn. Sie ist klein. Sie wächst. Sie wird ein Riese. Sie ballt sich. Sie formt sich. Sie zwängt die Lippen auseinander. Sie stößt in den Gerichtssaal.
    Sie klingt. Den Rest seiner armen Frau möchte der perverse Lustmörder essen: die Wurst. Der Abscheu schreit auf. Der höchste Richter hebt die Hand. Die Menschen verstummen.
    Der höchste Richter ist wie Gott. Seine Stimme ist die letzte Posaune. Er gewährt die Bitte. Der Verdammte darf die Wurst essen. Der höchste Richter sieht auf den Teller. Die Wurst ist weg. Er schweigt. Die Stille ist dumpf. Die Menschen schauen den höchsten Richter an. Die Augen des Verdammten sind groß. In ihnen steht eine Frage. Die Frage ist entsetzlich. Sie strömt in den Saal. Sie senkt sich auf den Boden. Klammert sich an die Wände. Hockt oben an der Decke. Nimmt Besitz von jedem Menschen. Der Saal weitet sich. Die Welt wird ein ungeheures Fragezeichen.

    14

    Der Sohn
    Winter 1943

    Ein Chirurg, der sich sowohl als Chefarzt einer berühmten Klinik als auch durch wissenschaftliche Forschungen einen großen Namen erworben und durch Wohltätigkeit den Armen gegenüber allgemeine Beliebtheit erlangt hatte, gab, auf der Höhe seiner Laufbahn, den Beruf zur Bestürzung und Verwunderung der Freunde und Kollegen auf, veröffentlichte in allen Zeitungen des Landes Heiratsinserate, studierte die vielen Anträge auf das gewissenhafteste, besuchte sämtliche Bordelle der Stadt, ließ sich mit jeder Dirne in lange Gespräche ein, forschte nach Charakter und Verhältnissen jeder Frau, der er begegnete, erweckte durch sein absonderliches Treiben, als ein sittenstrenger Junggeselle bekannt, überall Kopfschütteln und Bedenken, warb schließlich um die Gunst einer achtzehnjähri-gen Schönheit, Tochter eines reichen Fabrikanten, schwängerte diese, auf heftigste Abneigung stoßend, nachdem er sie in sein Haus gelockt, auf eine brutale Art gewaltsam, brachte den Sohn, den sie ihm unter seiner alleinigen Obhut in seiner Privatklinik geboren, ohne Rücksicht darauf, daß die junge Frau unter heftigen Blutungen verschied, sofort nach der Geburt mit einem Automobil in rasender Fahrt nach einer Villa, die er in einem wilden Park, fünfzig Kilometer von der Stadt, hatte bauen lassen, wo er ihn ohne fremde Hilfe, sei es auch diejenige der Amme, aufzog, derart, daß er stets nackt mit ihm lebte, ihm jeden Wunsch erfüllte, ihn aber ohne Wissen um Gut und Böse ließ, jeden Verkehr mit Menschen 15

    auf so geschickte Weise unmöglich machte, daß der Sohn glaubte, er und der Vater seien die einzigen Menschen, die es gäbe, mit dem Park aber höre die Welt auf, bis der Vater ihm eine Hure, die er aus einem der ordinärsten Häuser hatte kommen lassen, zuführte, worauf der Sohn, eben fünfzehn geworden, den Park, ohne daß der Vater ihn zu hindern suchte, nackt, wie er geschaffen, verließ, schon nach einer Stunde aber, Kleider verlangend, zurückkehrte, um nach vierund-zwanzig Stunden, da er einen Menschen, der sich geweigert hatte, ihm ohne Bezahlung Nahrung zu geben, kurzerhand umgebracht, gehetzt von der Polizei und deren Hunden, die ihm dicht auf den Fersen waren, die Hände und das Gesicht mit Blut verschmiert, zum Vater zurückzuflüchten, der ihn, ohne zu fragen, aufnahm, die Polizei mit einem Maschinengewehr zurücktrieb, sich, als diese den

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