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Aus den Papieren eines Wärters

Aus den Papieren eines Wärters

Titel: Aus den Papieren eines Wärters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Lautloses an sich, und dem ganzen Geschehen wohnte etwas Kindliches inne, aber gleichzeitig war alles erschreckend sinnlos und nebensächlich. Dann senkte er die Augen und schaute auf die Karte, als hätte er den ganzen Vorgang schon vergessen. Sie wollte fliehen, aber da begann der Alte zu sprechen.
    »Sie sind gekommen, mich zu töten«, sagte er. »Es ist ganz nutzlos, was Sie tun wollten. Es gibt nichts Unbedeutenderes als den Tod.« Er sprach langsam und seine Stimme war wohl-klingend, aber er schien seinen Worten nicht die geringste Bedeutung beizumessen. »Von wo sind Sie?« fragte er dann, ohne den Blick von der Karte zu wenden, und als sie den Namen der Stadt nannte, bemerkte er nach einer langen Pause, während der er eifrig auf der Karte gesucht hatte, daß diese Stadt zerstört sein müsse, da sie mit einem roten Kreuz verse-hen sei. Dann schwieg er und fing an, große Linien über die Karte zu ziehen, kreuz und quer. Es waren schwere, phantasti-sche Linien, die er zog, in merkwürdigen Kurven von einer eigenartigen Symmetrie, die das Auge zwingen, ihnen nachzu-spüren, die aber den Sinn unfehlbar zu verwirren pflegen. Sie stand wenige Meter von ihm und schaute auf ihn, der wie eine ungeheure dunkle Masse über die Karte gebeugt war. Sie stand da in der Abendsonne, die weiches Gold über den Alten warf.
    Er beachtete die Sonne nicht und das Weib nicht, das ihn töten wollte und versagt hatte. Er war im Leeren, dort, wo es keine 21

    Beziehungen mehr gibt und keine Verantwortung anderen gegenüber. Er haßte die Menschen nicht, er verachtete sie nicht, er bemerkte sie nicht, und das Weib ahnte, daß hier der geheime Ursprung seiner Macht zu vermuten war. So stand sie wie eine Gerichtete vor ihm, unfähig, ihn zu hassen, und wartete auf den Tod, der ihr von seiner Hand zukam. Dann aber erkannte das Weib, daß er sie und ihre Tat vergessen hatte und daß sie gehen konnte, wohin sie wollte, aber auch, daß dies seine Rache war, die schrecklicher vernichtete als der Tod. Sie ging langsam gegen die Tür.
    Da schlug der schwarze Hund zu seinen Füßen scharf an. Sie wandte sich zurück gegen den Alten, und er schaute auf. Seine Hand ergriff den Revolver, mit dem sie ihn hatte töten wollen.
    Dann sah sie die Waffe in seiner offenen Handfläche liegen, die sich ihr darbot. So überbrückte er mit einer unmenschlichen Geste, die unendlich demütigte, den Abgrund zwischen ihnen und deckte das innerste Wesen seiner Macht auf, die sich schließlich zerstören mußte, wie alle Dinge, deren Wesen im Absurden liegt. Sie schaute in seine Augen, die ihr ohne Spott und ohne Haß entgegengewandt waren, aber auch ohne Güte, und die nicht ahnten, daß er ihr alles wiedergegeben, was er ihr genommen, ihren Haß und die Kraft, ihn zu töten.
    Ruhig nahm sie die Waffe aus seiner Hand, und als sie schoß, fühlte sie jenen Haß, den Menschen bisweilen gegen Gott hegen. Er legte noch den Stift, mit dem er über die Karte gefahren, sorgfältig auf den Tisch, fiel dann aber langsam nieder, wie eine uralte Göttereiche, die gefällt wird, und der Hund leckte ruhig das Gesicht und die Hände des Toten, ohne sich im geringsten um das Weib zu kümmern.

    22

    Das Bild des Sisyphos
    1945

    Der Zufall hatte mich diesen Winter in ein Dorf der französischen Schweiz geführt, doch ist mir die einsame Zeit, die ich dort verlebte, nur traumartig in der Erinnerung geblieben. Ich sehe zwar deutlich die langgewellten weißen Hügel, aber die wenigen Hütten haben sich gespenstisch zu einem Genist von Treppen, Korridoren und unfreundlichen Räumen zusammen-gezogen, durch die ich aufgeregt hin und her eile. Nur ein Erlebnis dieser verlorenen Wochen blieb in meinem Geiste haften, wie uns etwa noch lange ein greller Fleck vor Augen schwebt, wenn wir unvermutet die Sonne sehen. Ich habe damals von einer winkligen Treppe aus, die sich irgendwo im Dunkel verlor, durch ein halbvereistes Fenster in eine heller-leuchtete Stube geschaut, wo sich alles deutlich, aber völlig lautlos abspielte. So blieb jede Einzelheit in meinem Sinne haften, und ich könnte die Farbe der Kleidungsstücke angeben, welche die Kinder damals getragen haben, besonders erinnere ich mich an eine feuerrote, mit Gold verstickte Jacke eines blonden Mädchens. Auf dem runden Tisch errichteten die Kinder ein großes Kartenhaus, und es war eigenartig, ihren überaus vorsichtigen Bewegungen zu folgen. Dann aber, als es vollendet stand, begannen sie das Gebäude zu vernichten. Sie

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