Ausgesaugt
Blut.
Christian legt eine Hand an die Stirn, als würde ihn die Sonne blenden, und mustert sie mit zusammengekniffenen Augen.
– Wie kommst du denn zu so ’ner Braut, Joe?
Ich nehme einen Schluck und gebe ihm die Flasche zurück.
– Kennst mich doch, immer Glück in der Liebe.
Er schüttelt den Kopf.
– Ich weiß nicht, ob ich euch in dem Aufzug mitnehmen kann.
Evie zeigt ihm den Finger.
– Und das von einem Typen mit Zylinder.
Er nickt mir zu.
– Lass die ja nicht wieder gehen, Joe.
Ich halte ihre Hand. Ich kann sie nur mit zwei Fingern halten, aber das ist schon in Ordnung.
– Hab ich nicht vor.
Ein Duster namens Tenderhooks leiht uns seine Maschine und sitzt hinter Christian auf, was von Pfiffen und tuntigen Gesten begleitet wird. Evie hebt ihr Kleid etwas und nimmt hinter mir Platz.
Dann donnern wir los.
Auf der anderen Seite der Brücke gibt es eine Lady, die in der Bronx das Sagen hat. Wenn Chubby getan hat, worum ich ihn gebeten habe, dann weiß sie bereits, dass wir kommen. Und wenn sie getan hat, worum Chubby sie gebeten hat, dann wird sie uns Unterschlupf gewähren, bis die Sonne untergegangen ist. Hoffentlich hat sie es auch geschafft, die Wilden mit den zugefeilten Zähnen zusammenzutrommeln. Wenn die Mungiki gemeinsam mit den Dusters kämpfen, dann kann die Gegenseite aufbieten, was sie will, ich wüsste trotzdem ganz genau, auf wen ich setzen würde.
Die Bronx ist zwar immer noch verdammt nahe an der Insel, aber es ist ja nur für einen Tag.
Und danach?
Wohin, wenn man seine Heimat aufgeben muss?
Das könnt ihr euch ja selbst zusammenreimen. Es ist eine neue Welt und keiner weiß, in welche Richtung sie sich drehen wird. Wann sie der Sonne zugewandt ist und wann nicht. Eine neue Zeitrechnung hat begonnen.
Neue Regeln.
Terry und Predo, ja sogar Digga und die Enklave haben Regeln aufgestellt, und ich wusste, wo ich hingehöre. Zwischen alle Stühle. Ohne Zukunft. Und ohne Platz für das Mädchen, das hinter mir auf der Maschine sitzt.
Wenn man Platz braucht, muss man irgendwas Altes ausmisten.
Und ich brauche Platz für zwei. Ohne sie hat mein Leben keinen Sinn. Weil sie mich kennt. Weil sie mein Innerstes kennt. Den Vyrus oder den Geist, je nachdem, wie ihr es nennen wollt. Und wir sind jetzt beide Killer. Sie weiß, was ich jetzt bin.
Und sie mag mich so, wie ich bin.
Ich gebe Gas und sie schlingt die Arme noch enger um meinen Bauch. Alle Wunden, die ich in der letzten Nacht abbekommen habe, tun sauweh, trotzdem fahre ich schneller, damit sie sich noch enger an mich klammert.
So fühlt es sich einfach besser an.
Einige Straßen weiter halte ich am Randstein vor einem Kiosk, gehe rein und verlasse ihn mit fünf Schachteln Luckys. Ich reiße eine auf und stecke mir eine Zigarette in den Mund. Mein Mädchen fischt mein altes Zippo aus meiner Jackentasche und gibt mir Feuer.
Es gibt Momente, die machen alles wieder gut, was man dafür durchleiden musste.
Die dröhnenden Motoren bringen die Fenster zum Klirren und die Alarmanlagen der umstehenden Autos zum Heulen. Da weiß jeder, dass es besser ist, schnellstens eine Tür zwischen sich und die Straße zu bekommen.
FORTSETZUNG DER ABSCHRIFT
NICHT KOPIEREN
Ich bin ein Wrack.
Vor fünf, sechs Jahren war ich ungefähr vierzig und sah aus wie Ende zwanzig. Nicht der Hübscheste, aber immerhin war noch alles dran.
Und jetzt? Jetzt sehe ich aus wie ein Fünfzigjähriger, der auf vierzig macht. Mein Knie wird nicht mehr richtig verheilen. Meinen großen Zeh, meine Finger und mein Auge kann ich abschreiben. Von der Wunde, die der Graf in meine Seite gerissen hat, wird eine hässliche Narbe zurückbleiben. Und wahrscheinlich werde ich den Rest meines Lebens mit eineinhalb Lungenflügeln auskommen müssen. Wobei die Funktionstüchtigkeit des halben Flügels mehr als fraglich ist. Wenn ich in den nächsten Tagen ordentlich Blut trinke, könnte das schon helfen. Aber Blut hin oder her, ich bin ein Wrack. Selbst eine ganze Badewanne voll Blut würde mich nicht wiederherstellen.
Und so wie es aussieht, werden wir Blut in der nächsten Zeit ohnehin nur tröpfchenweise bekommen.
Sobald die Nacht hereinbricht, können wir weiterziehen, so schnell und unauffällig wie möglich. Es wird einen Riesentumult geben, und bis sich der Staub wieder einigermaßen gelegt hat, müssen wir aufpassen, dass wir unter nichts Großem stehen, das auf uns drauffallen könnte.
Evie ist magere Zeiten gewohnt. Sie hat in den letzten zwei
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