Ausgespielt
ab.
»Kinsey? Reba hier. Störe ich gerade?«
»Na ja, ich bin patschnass, aber eine Minute halte ich durch, bevor ich zu frösteln anfange. Was gibt’s denn?«
»Nicht viel. Pop hat sich nicht wohl gefühlt und ist ins Bett gegangen. Die Haushälterin ist gerade gegangen, und die Pflegerin hat angerufen und gesagt, dass sie sich ein bisschen verspätet. Ich wollte nur fragen, ob Sie Lust hätten, mit mir essen zu gehen.«
»Klar. Kann ich machen. Woran hatten Sie denn gedacht?«
»Haben Sie nicht ein Lokal bei Ihnen in der Nähe erwähnt?«
»Rosie’s Tavern. Da wollte ich sowieso hin. Ich würde es zwar nicht schick nennen, aber wenigstens ist es gleich um die Ecke.«
»Ich muss einfach raus. Ich würde mich wirklich gern mit 73
Ihnen treffen, aber nur, wenn ich Ihre Pläne nicht störe.«
»Was für Pläne denn? Sie stören mich überhaupt nicht. Haben Sie ein Auto?«
»Kein Problem. Sobald die Pflegerin kommt, fahre ich los.
Gegen sieben?«
»Müsste klappen.«
»Gut. Ich komme, sobald ich kann.«
»Ich schnappe mir einen guten Tisch und warte auf Sie«, sagte ich und gab ihr die Adresse.
Nachdem ich aufgelegt hatte, trocknete ich mich ab und zog eine frische Jeans, ein sauberes schwarzes T-Shirt und Turnschuhe an. Dann ging ich nach unten und verbrachte ein paar Minuten damit, meine bereits saubere Küche aufzuräumen.
Anschließend machte ich Licht, setzte mich mit der
Lokalzeitung ins Wohnzimmer und studierte Todesanzeigen und andere aktuelle Ereignisse.
Um vier Minuten vor sieben ging ich noch bei Tageslicht die paar Schritte zu Rosie. Zwei Nachbarn gönnten sich einen Cocktail im Freien und plauderten über den Gartenzaun hinweg.
Eine Katze überquerte die Straße und schob ihren schlanken Leib durch die Zwischenräume eines Lattenzauns. Es roch nach Jasmin.
Rosie’s Tavern ist einer von sechs Kleinbetrieben in meinem Häuserblock, darunter ein Waschsalon, eine Reparaturwerkstatt für Elektrogeräte und ein Automechaniker, der immer ein paar alte Kisten in der Einfahrt stehen hat. Seit sieben Jahren esse ich drei- bis viermal die Woche bei Rosie zu Abend. Von außen sieht das Lokal schäbig aus. Es befindet sich in einem Gebäude, das früher einmal der Gemischtwarenladen des Viertels hätte gewesen sein können. Die Fenster sind zwar aus Glas, doch das Außenlicht wird von flackernden Neonschildern, Postern, Vorankündigungen und verblichenen Betriebsgenehmigungen des Gesundheitsamts abgehalten. Soweit ich mich erinnern 74
kann, hat Rosie nie eine bessere Einstufung als »C« bekommen.
Innen ist das Lokal lang und schmal und hat eine hohe, dunkel gestrichene Decke, die aussieht, als bestünde sie aus gepresstem Blech. Grob gezimmerte Sperrholznischen bilden auf der rechten Seite ein L. Links steht ein langer Bartresen aus Mahagoni, während weiter hinten eine Schwingtür in die Küche und ein kurzer Flur zu den Toiletten führt. Der restliche Raum wird von mehreren Resopaltischen eingenommen. Die
dazugehörenden Stühle haben verchromte Beine und Sitzflächen aus marmoriertem grauem Plastik, das zum Teil schon Risse hat, die anschließend mit Isolierband geflickt wurden. Die Luft riecht stets nach verschüttetem Bier, Popcorn, altem Zigarettenrauch und Pine-Sol-Putzmittel.
Die Montagabende sind meistens ruhig, da sich die
Nachmittagstrinker und die üblichen Sportrowdys von ihren ausschweifenden Wochenenden erholen. Meine Lieblingsnische war wie die meisten anderen frei. Ich setzte mich so, dass ich sehen konnte, wenn Reba zur Tür hereinkam. Dann las ich die Speisekarte, ein hektografiertes Blatt in einer Plastikhülle. Rosie vervielfältigt sie auf einer Maschine im Hinterzimmer, und die verschwommene Schrift ist kaum lesbar. Vor zwei Monaten hatte sie eine neuartige Form der Speisekarte aufgelegt, die einer ledergebundenen Dokumentenmappe ähnelte und in der eine handgeschriebene Liste der ungarischen Spezialitäten du Jour des Tages – wie sie sie zu nennen beliebte – aufgeführt waren.
Einige dieser Speisekarten waren gestohlen und andere als gefährliche Wurfgeschosse missbraucht worden, als gegnerische Fußballmannschaften einen erhitzten Disput über das letzte große Match ausgetragen hatten. Nun hatte Rosie offenbar ihre Ambitionen in Richtung Haute Cuisine aufgegeben und verteilte wieder ihre alten hektografierten Blätter. Ich überflog die angebotenen Gerichte, wobei ich mich fragte, warum ich mir überhaupt die Mühe machte. Rosie trifft
Weitere Kostenlose Bücher