Auslegware
nach oben sehen musste, um mir in die Augen sehen zu können. Woher er meine Adresse wissen konnte, war mir ebenso klar. Ich hatte ihn angerufen und er hatte meinen Namen. Wenn er ein Telefon mit Anrufspeicher besaß, brauchte es nur einen Klick in der Rufnummernsuche im Internet, oder auch nur einen Blick ins Telefonbuch, um auch meine Anschrift herauszufinden.
Sein Gesicht hellte sich auf, als er mich sah, verfinsterte sich jedoch auf der Stelle wieder, als er das meine entdeckte.
„Können wir reden?“, fragte er augenblicklich.
„Ich wüsste nicht, was es zu bereden gäbe“, gab ich mich zugeknöpft.
„Ich hab schon verstanden“, konterte Marius grimmig. „Ich will nur eine Sache mit dir klären.“
Ich blieb stehen und schnaufte genervt. „Und die wäre?“
„Was auch immer du von mir denken magst“, begann Marius schließlich. „Aber ich lasse es nicht auf mir sitzen, dich angeblich verarscht zu haben. Meine Absichten dir gegenüber waren absolut ernsthaft. Ich hatte gehofft, dass du das bereits gemerkt hast, als du bei mir den Teppich verlegt hast. Allerdings kam ich da dann irgendwann zu der Überzeugung, du stündest nicht auf Männer, weil du auf nichts reagiert hast. Das, was im Gay-Klub passiert ist, war ernst gemeint.“
Ich sah mich um. Marius' ziemlich offenkundige Rede hätte meine Nachbarn sicherlich sehr interessiert und den Tratsch schneller durch das gesamte Treppenhaus rasen lassen, als man die Stockwerke hinunterrennen konnte. An sich gab ich nichts auf Tratsch und Klatsch, ich hatte jedoch genug Erfahrungen mit Leuten, denen Derartiges ziemlich wichtig war und anderen damit das Leben schwer machen konnte. Auf so einen Zirkus hatte ich wirklich keine Lust.
„Dann weiß ich ja jetzt Bescheid“, erwiderte ich kurz angebunden und um die Diskussion zu beenden. Ich schob mich an ihm vorbei und wollte zu meinem Wagen gehen. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meinem Arm. Ich blieb stehen.
„Das ist alles?“, wollte er fassungslos wissen.
„Was hast du erwartet?“, fragte ich abfällig zurück.
Marius' Gesicht verfinsterte sich. „Ich frage mich ernsthaft, wer sich hier von wem verarscht fühlen muss.“ Damit wirbelte er herum und stapfte mit seinem verführerischen wiegenden Gang davon. Ich sah ihm noch eine Weile hinterher, bis er um eine Biegung marschierte und aus meinem Blickfeld verschwunden war.
Erst als in der Nähe ein Auto hupte, fuhr ich zusammen und ging zu meinem Wagen. Marius konnte mich mal kreuzweise.
Es gab noch viele von seiner Sorte.
6. fixieren
Ich hatte mir aus dem Internet einige Cruising-Treffs für Homosexuelle herausgesucht und klapperte nun einen nach dem anderen ab. Keine Auslegware mehr , sagte ich mir, als ich gegen elf Uhr den fünften Standort anfuhr. An den anderen trieb sich entweder keine einzige Seele herum oder ich fand mich in einer versifften, stinkenden Parkhaustoilette wieder, oder das Publikum dort bestand nur aus frustrierten älteren Herren, die nur an schnellem Sex in Form von Blowjobs interessiert waren.
Der fünfte Versuch, endlich einen willigen Hintern zu finden, war der Parkplatz eines vor Jahren verlassenen Discounters. Ich stellte meinen Wagen ab und blickte aus der Frontscheibe auf weitere Autos und eine Gruppe von Männern unterschiedlichen Alters, die im Schutz einer windschiefen Überdachung für Einkaufswägen standen und sich unterhielten.
Hatte ich es wirklich so nötig?
Ich war doch erst fünfundzwanzig. Das ganze Leben stand noch vor mir. Vielleicht lief mir irgendwann der Richtige über den Weg, der nicht nur an meiner Kehrseite, sondern auch an dem Rest von mir interessiert war.
Einer der Männer lehnte an der Wand der Überdachung und ließ sich gerade einen blasen, während ein paar weitere zusahen, mit den Händen in ihren Hosen. Ein anderes Pärchen stand eng umschlungen daneben, in einen Kuss vertieft, während ihre Hände den Körper des anderen betasteten.
Als ich dieses Bild sah, musste ich an Marius denken, wie seine Fingernägel über meinen Rücken wanderten und mir einen Schauer nach dem anderen verursachten. Wie gut es sich angefühlt hatte, trotz Frauenkleid, seinen Schwanz an meinem Schenkel zu spüren. Wie heiß es mir geworden war, als sein Atem über meine Wange strömte …
Der Blick aus diesen blauen Augen mit den fein geschwungenen Wimpern, der meine Knie in Wackelpudding verwandelte.
Wie wundervoll sich seine Stimme in meinen Ohren anhörte, wenn er meinen Namen
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