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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Wagner
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sollte, hatte ich nicht übel Lust, sie eine »dramatische Ballade« zu nennen. Bei der endlichen Ausführung der Komposition breitete sich mir das empfangene thematische Bild ganz unwillkürlich als ein vollständiges Gewebe über das ganze Drama aus; ich hatte, ohne weiter es zu wollen, nur die verschiedenen thematischen Keime, die in der Ballade enthalten waren, nach ihren eigenen Richtungen hin weiter und vollständig zu entwickeln, so hatte ich alle Hauptstimmungen dieser Dichtung ganz von selbst in bestimmten thematischen Gestaltungen vor mir. Ich hätte mit eigensinniger Absicht willkürlich als Opernkomponist verfahren müssen, wenn ich in den verschiedenen Scenen für dieselbe wiederkehrende Stimmung neue und andere Motive hätte erfinden wollen; wozu ich, da ich eben nur die verständlichste Darstellung des Gegenstandes, nicht aber mehr ein Konglomerat von Opernstücken im Sinne hatte, natürlich nicht die mindeste Veranlassung empfand. – Ähnlich verfuhr ich nun im Tannhäuser, und endlich im Lohengrin; nur daß ich hier nicht von vorn herein ein fertiges musikalisches Stück, wie jene Ballade, vor mir hatte, sondern das Bild, in welches die thematischen Strahlen zusammenfielen, aus der Gestaltung der Scenen, aus ihrem organischen Wachsen aus sich, selbst erst schuf, und in wechselnder Gestalt überall da es erscheinen ließ, wo es für das Verständniß der Hauptsituationen nöthig war. Außerdem gewann mein Verfahren, namentlich im Lohengrin, eine bestimmtere künstlerische Form durch eine jederzeit neue, dem Charakter der Situation angemessene, Umbildung des thematischen Stoffes, der sich für die Musik als größere Mannigfaltigkeit der Erscheinung auswies, als dieß z. B. im »fliegenden Holländer« der Fall war, wo das Wiedererscheinen des Thema's oft noch nur den Charakter einer absoluten Reminiscenz (in welchem dieß schon vor mir bei anderen Komponisten vorgekommen war) hatte. –
    Ich habe nun noch den Einfluß meines allgemein dichterischen Verfahrens auf die Bildung meiner Themen selbst, auf die Melodie , zu bezeichnen.
    Aus der absolut musikalischen Periode meiner Jugend her entsinne ich mich, oft auf den Einfall gerathen zu sein, wie ich es wohl anzufangen hätte, um recht originelle Melodieen zu erfinden, die einen besonderen, mir eigenthümlichen Stempel tragen sollten. Je mehr ich mich der Periode näherte, in welcher ich mich für mein musikalisches Gestalten auf den dichterischen Stoff bezog, verschwand diese Besorgtheit um Besonderheit der Melodie, bis ich sie endlich gänzlich verlor. In meinen früheren Opern ward ich rein durch die traditionelle oder moderne Melodie bestimmt, die ich ihrem Wesen nach nachahmte, und, eben in jener Besorgniß, durch harmonische und rhythmische Künsteleien nur als besonders und eigenthümlich zu modeln suchte. Immer hatte ich aber mehr Neigung zur breiten, lang sich hindehnenden Melodie, als zu dem kurzen, zerrissenen und kontrapunktisch gefügten Melismus der eigentlichen Kammerinstrumentalmusik: in meinem »Liebesverbote« war ich offen auf die Nachbildung der modernen italienischen Kantilene verfallen. Im »Rienzi« bestimmte mich überall da, wo mich nicht bereits schon der Stoff zur Erfindung bestimmte, der italienisch-französische Melismus, wie er mich zumal aus den Opern Spontini's angesprochen hatte. Die dem modernen Gehöre eingeprägte Opernmelodie verlor nun aber ihren Einfluß auf mich immer mehr und endlich gänzlich, als ich mich mit dem »fliegenden Holländer« beschäftigte. Lag dieß Abweisen des äußeren Einflusses zunächst in der Natur des ganzen Verfahrens, das ich mit dieser Arbeit einschlug, begründet, so erhielt ich nun aber auch eine entschädigende Nahrung für meine Melodie aus dem Volksliede, dem ich mich hierbei näherte. Schon in jener Ballade bestimmte mich das unwillkürliche Innehaben der Eigentümlichkeiten des nationalen Volksmelismus'; noch entscheidender aber in dem Spinnerliede, und namentlich in dem Liede der Matrosen. Das, was die Volksmelodie dem modernen italienischen Melismus gegenüber am kenntlichsten auszeichnet, ist hauptsächlich ihre scharfe rhythmische Belebtheit, die ihr vom Volkstänze her eigenthümlich ist; unsere absolute Melodie verliert genau in dem Grade die populäre Verständlichkeit, als sie von dieser rhythmischen Eigenschaft sich entfernt, und da die Geschichte der modernen Opernmusik eben nur die der absoluten Melodie ist, [Fußnote: Siehe »Oper und Drama«, erster Theil.] so

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