Ausziehen!
besessen sind«, erwiderte ich abschließend und nickte gedankenverloren.
Seine Zuckungen hörten abrupt auf, und seine Augen huschten zur Tür, als würde er darüber nachdenken, sich schleunigst aus dem Staub zu machen. »Ich bin doch nicht besessen!«, entgegnete er mit spitzen Lippen. Vor Empörung schnellte seine Stimme in die Höhe. Ich bezweifelte, dass er ebenso entrüstet gewesen wäre, wenn ich behauptet hätte, seine Mutter gehöre einer außerirdischen Spezies an. Die Versuchung war groß. Aber man sollte seine Patienten nicht beleidigen, schon gar nicht, wenn man sich in einem derartigen finanziellen Engpass befand wie ich. Dieser Mann hier zahlte eine stattliche Summe für seine Sitzungen jeden Dienstagabend, bei denen er meistens darüber sprach, womit er seine Butterbrottüte füllen sollte. Das kam mir zwar ein wenig seltsam vor, aber ich hatte noch ganz andere Geschichten auf Lager. Ich kannte mal einen Typ, der jeden Tag siebzehn verschiedene Zahnbürsten brauchte. Siebzehn. Ich hatte keine Ahnung, warum das so war, obwohl ich ihn recht gut kannte. Ziemlich gut sogar. Okay, die Wahrheit ist, ich habe achtzehn Monate lang mit ihm zusammengelebt. Er war zwar echt durchgeknallt, hatte dafür aber total gute Zähne. Und wenn ich irgendwas mit meinen dreißig und ein paar zerquetschten Jahren gelernt habe, dann, dass man manchmal nicht allzu wählerisch sein darf.
»Vielleicht ist ›besessen‹ nicht ganz der richtige Ausdruck«, beschwichtigte ich ihn. »Ich wollte damit doch nur andeuten, dass es in Ihrem Leben bestimmt noch wichtigere Dinge gibt, über die man sich den Kopf zerbrechen sollte.«
Lepinskis Blick schweifte erneut zur Tür, bevor er mir wieder seine volle Aufmerksamkeit schenkte. »Nein! Gibt es nicht!«, antwortete er in einem Ton, der mich wahrlich reizte, ihm zu widersprechen.
Deswegen tat ich, was jede frisch gebackene Therapeutin tun würde, die ihres hinter Glas gepackten und mahagonigerahmten Diplomes würdig war. Ich träumte von einem Mokka und schenkte Lepinski ein weiteres mütterliches Lächeln.
»Außerdem nehme ich Anstoß an Ihrer Wortwahl«, fügte er hinzu. »Weder bin ich besessen, noch bin ich es jemals gewesen.«
Ich erwog kurz, ihm die Wahrheit zu stecken: dass er echt einen an der Waffel hatte, aber als ich einen Blick auf die Uhr warf, sah ich, dass seine Zeit verstrichen war.
»Tut mir leid, Mr. Lepinski«, sagte ich und konnte mich gerade noch bremsen, wie von der Tarantel gestochen von meinem Stuhl aufzuspringen. Stattdessen erhob ich mich mit würdevoller Besonnenheit und hielt ihm meine Hand entgegen. Dank Monique, meiner magischen Maniküre, waren die Nägel herrlich gepflegt, mit Ausnahme des einen verdammten Nagels, den ich mir abgebrochen hatte, als ich vor zwölf Stunden zur Arbeit gehetzt war. »Wir sehen uns dann nächste Woche.«
Er blickte finster drein, als würde er erwägen, sämtliche Termine bei mir abzusagen, aber die Vorstellung, seine Sandwich-Krisen vollkommen allein bewältigen zu müssen, schien wohl doch so grauenvoll zu sein, dass er seine schlaffe Hand in die meine schob und nickte. »Nächste Woche«, bestätigte er, ohne mir jedoch dabei in die Augen zu sehen. »Übrigens, Sie haben da einen Fleck auf Ihrer …« Er deutete mit seiner schlaffen Hand auf meine Brust.
Ich zog die Bluse unter dem farblich perfekt abgestimmten Blazer straff. Nicht, dass mir der Fleck unangenehm war. Immerhin trug der Mann vor mir kanariengelbe Socken zu seinem verknitterten Tweed-Anzug.
»Was ist das? Ketchup?«
»Bitte?«
»Auf Ihrer Bluse. Ist das Ketchup?«, fragte er.
»Nein«, antwortete ich und schenkte ihm ein Lächeln, das zwar höflich, aber doch recht bestimmt war. Im Warthog in Schaumburg, einmal um die Ecke und dann die Straße runter von dort, wo ich aufgewachsen war, hatte ich genügend Gelegenheit gehabt, dieses höfliche, aber bestimmte Lächeln einzuüben. »Einen schönen Abend noch, Mr. Lepinski.«
Sein Schnurrbart zuckte erneut, als könne er den Geruch des faszinierenden Flecks wittern. »Barbecue-Soße?«
»Ich hoffe, Sie finden alleine hinaus. Leider musste meine Assistentin heute Abend früher gehen.«
»Tomatensaft?«
Auf meinem Schreibtisch befand sich ein Brieföffner in Form eines Schwertes, das in einem Steinimitat steckte. Er diente mehr zur Dekoration als zur praktischen Anwendung, aber mittlerweile fragte ich mich doch, ob man ihn nicht tatsächlich als Waffe benutzen konnte. Bestimmt könnte man mich nicht
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