Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausziehen!

Ausziehen!

Titel: Ausziehen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois Greimann
Vom Netzwerk:
auf die Beine zu kommen, verlor dabei jedoch einen Schuh und prallte gegen die Wand. Aber ich war immer noch frei und sprang hinter meinen Schreibtisch, vollkommen außer Atem.
    »Tun Sie das nicht, Andrew«, keuchte ich, »früher oder später werden Sie das bereuen!«
    Auch er atmete schwer. Er krümmte sich zwar immer noch, nahm die Verfolgung aber trotzdem wieder auf. »Du willst mich anmachen, das ist es doch, was du willst, Doc.«
    »Ich will niemanden anmachen«, gab ich zurück und bemühte mich krampfhaft, wieder zu meinem beruflichen Ton zurückzufinden. »Es tut mir aufrichtig leid, dass Sie diesen falschen Eindruck gewonnen haben.«
    »Nichts mit ›falscher Eindruck‹«, sagte er und machte einen Satz nach vorn über den Schreibtisch hinweg.
    Ich stieß einen Schrei aus wie ein B-Movie-Sternchen und schmiss mich zur Seite, wieder in Richtung Tür. Er stürzte sich auf mich. Ich rutschte bis zur Schreibtischkante, kam wackelig auf einem Fuß zu stehen und versuchte, in die andere Richtung zu entkommen. Er war mir dicht auf den Fersen. Wieder schrie ich. Seine Hand schloss sich um meinen Blazer. Der Stoff riss. Knöpfe sprangen ab. Verzweifelt drehte und wand ich mich. Ich verlor alle Hoffnung. Er war gut zweimal so schwer und stark wie ich, und mir blieb nichts anderes übrig, als einfach nur zu kämpfen. Ich holte mit aller Kraft aus. Die Wucht, mit der meine Faust auf sein Ohr traf, war etwa so heftig wie der Flügelschlag einer Schwalbe. Ohne große Anstrengung schnappte er mein Handgelenk und grinste mir breit ins Gesicht, während er mich zu Boden zerrte.
    Wirr murmelte ich etwas vor mich hin, Versprechen, Drohungen oder Gebete. Keine Ahnung. Plötzlich lockerte sich sein Griff. Ich krabbelte zurück und versuchte, meine Füße zu befreien. Er strauchelte, fuhr sich mit verkrampften Fingern an die Brust und fiel auf die Knie. Ich wankte zum Telefon, drückte mit steifen Fingern auf die Tasten und jammerte in den Hörer.
    Bomstad verdrehte die Augen und sah mich an. Ich ließ den Hörer fallen und taumelte gegen die Wand. Dann, mit völlig übertriebener Melodramatik, fiel er wie ein Sack zu Boden und war mausetot.

2
    Die Auswahl des perfekten Tafelweins verliert jede Bedeutung, sollten deine Gäste zufällig Kannibalen und du das ahnungslose Hauptgericht sein.
    Dr. Candon, Psychologieprofessor
     
     
    M a’am. Ms. McMullen.« Ich versuchte, mich zu konzentrieren. Rasend schnell war die Polizei eingetroffen. Wie es schien, hatte jemand meine Schreie gehört und den Notruf gewählt. Mein eigener Anruf war wahrscheinlich bei einem Drachenflieger in Tibet gelandet.
    Alles war unklar und verschwommen, mit Ausnahme des leblosen Mannes auf meinem völlig überteuerten Berber. Der lag dort so klar wie Wodka. Er lag auf dem Rücken, die leuchtend blauen Augen weit aufgerissen, die Hände reglos neben dem Körper, die Finger leicht verkrampft, aber Gott sei Dank bedeckte die Jacke seinen Unterleib. Dennoch drohte mein Magen, sowohl den Joghurt als auch die vertrocknete Apfelsine wieder von sich zu geben.
    »Ms. McMullen!«
    »Ja?« Zittrig versuchte ich, meine Aufmerksamkeit von Bomstads starrem Blick abzuwenden, und suchte am Schreibtisch Halt. Die Maserung des Eichenholzes fühlte sich grob und stabil an. Trotzdem hatte ich den Eindruck, die Welt wäre aus dem Gleichgewicht geraten. Vielleicht lag es daran, dass ich nur einen Schuh trug. Vielleicht aber auch nicht.
    Der Mann, der mich angesprochen hatte, war insgesamt eine ziemlich dunkle Erscheinung. Dunkle Haare, dunkle Haut, dunkle Augen, dunkle Kleidung. »Sind Sie Christina McMullen?«
    »Ja. Ich bin … Ja.« Ich klang in etwa so gescheit wie eine russische Olive.
    Gute fünfzehn Sekunden starrte der Mann mich an. »Ich bin Lieutenant Rivera«, sagte er schließlich.
    Ich antwortete nicht. Mein Blick wanderte gnadenlos immer wieder zu Boden. Diese blauen Augen, die riesigen, geöffneten Hände.
    »Ich hätte da ein paar Fragen an Sie.«
    »Mmmh.«
    »Sie sind Psychiaterin?«
    Verbissen versuchte ich, meine Aufmerksamkeit auf das Gesicht des Lieutenants zu richten. Es war frei von jedem Ausdruck, mal abgesehen von ein wenig Ärger. Einer Spur Misstrauen. Könnte sein, dass er sogar ein wenig zynisch aussah. Vielleicht ist der Begriff »frei« doch nicht ganz so passend.
    Seine Brauen saßen tief über den kaffeebraunen Augen, die gut zu der dunklen Farbe seiner Jacke passten, und die Lippen waren zu einer schmalen, harten Linie

Weitere Kostenlose Bücher