Autobiografie eines Lügners
krasse Vergewaltigungen finden statt, und Männer mit schwarzweißen Ringelpullis und Masken rennen in Häuser hinein und mit großen Säkken, auf denen das Wort »Beute« steht, wieder heraus.
»Was meinen Sie mit Diebstahl? Was meinen Sie mit schwerem Verbrechen? Er hat nur eine Blume gepflückt«, sage ich zornig.
»Eine Blume gestohlen!«
»Na gut, dann geben wir sie zurück.«
»Das können Sie nicht, Bürschchen, sie ist abgetrennt.«
»Was meinen Sie mit ›abgetrennt‹?«
»Nun, hatten Sie vor, sie zurückzugeben?«
»Äh, ja, klar, hatten wir vor.«
»Ho! Und wie würden Sie das bewerkstelligen, Sir?«
»Tja, ich glaube, äh …«
»Tesafilm? Wieder annageln? Ein paar wohlplazierte Nieten? Sie könnten es gar nicht, stimmt’s?«
»Tja, äh, wahrscheinlich nicht.«
»Sehen Sie, da haben wir’s. Wenn Sie natürlich den ganzen Busch genommen hätten, mit Wurzeln und allem Drum und Dran herausgezogen hätten, hätten wir nicht beweisen können, daß Sie nicht die Absicht hatten, ihn wieder zurückzubefördern.«
Ein paar Straßen weiter wird ein Präsident ermordet.
»Na gut, na schön, das ist doch lachhaft. Ich werde denen einen ganzen neuen Busch kaufen.«
»Na, aber das wäre dann nicht derselbe Busch, oder etwa doch?«
Der zweite Polizist hört auf, Notizen zu machen, um höher aufragen zu können, um beim Abschuß dabei zu sein.
»Sehen Sie, ich werde den Hausbesitzer fragen, ob es ihm was ausmacht, daß wir eine Pfingstrose genommen haben, und wenn es ihm was ausmacht, werde ich ihm Schadensersatz zahlen, aber natürlich wird es ihm nichts ausmachen, und außerdem hat das Ding sowieso den Fußweg versperrt ….«
»Versuchen Sie nicht, uns schlau zu kommen, Bürschchen …«
Der Polizist mit dem Notizbuch erhebt eine Faust. Sein Kollege drückt sie hinunter und murmelt »Noch nicht, noch nicht« vor sich hin. Schließlich verliere ich die Geduld.
»Haben Sie nichts Besseres zu tun? Hier werden Morde begangen, Brandstiftungen, Vergewaltigungen, und da machen zwei von ihnen sich Sorgen um eine blöde Pfingstrose …«
»Ah, hier macht jemand Schwierigkeiten, stimmt’s? Sergeant?«
Er ruft zum Streifenwagen hinüber, aus welchem ein Sergeant springt, der nun angeschritten kommt.
»Hören Sie, Freundchen, möchten Sie mit aufs Revier kommen und sich ›interviewen‹ lassen?«
»Kann sehr ungemütlich werden, so ein ›Interview‹ …«, fügt der Mann mit dem Notizbuch hinzu.
»Drohen Sie uns mit körperlicher Gewalt?« frage ich und hebe meinen Schirm ganz leicht an, um meine Frage zu verdeutlichen.
»Alles klar, alles klar«, sagt der Sergeant. »Fordern Sie Verstärkung an.«
An diesem Punkt holt der erste Polizist sein Funksprechgerät hervor. »Pfingstrosenabtrennung Belsize Lane, können wir Verstärkung bekommen …?«
Wir gehen flott davon und lassen sie weitermachen. Sie sind mit dem ordnungsgemäßen Hüten der Gesetze viel zu beschäftigt, um es zu merken. In ganz London melden Polizeiautos über Funk an die Einsatzzentrale: »Bin in östlicher Richtung North End Avenue zum Schauplatz einer Pfingstrosenabtrennung südliche Belsize Lane unterwegs ….« Sirenen quietschen, Männer springen aus grünen Minnas, Wasserwerfer werden ausgefahren. Im Parlament werden Fragen gestellt, später in Den Haag. Schließlich kann die ganze leidige Angelegenheit nicht ohne die freundliche Intervention meines alten Freundes Dr Kurt Waldheim vom guten alten UN-Gebäude hier in New York beigelegt werden. Ganz schön klasse, meinen Sie nicht …?
Ein paar Häuser und eine kurze Zeitreise weiter, im City Center, New York 1976 , wartet eine aufmerksame Menschenmenge immer noch auf die Wilde’sche Entgegnung … Ich beginne, in Schweiß auszubrechen. Der Text will einfach nicht kommen. John Cleese schurrt unbehaglich und mault: »Nun mach schon.«
Ich halte das für souffliert und verkünde laut: »Nun mach schon.«
Die Reaktion des Publikums vermittelt mir den definitiven Eindruck, daß dies nicht mein Text ist. Es sind Momente wie dieser, da man denkt: »Scheiß doch drauf! Ist das wirklich alles wichtig? Wozu sind wir alle hier? Ist es unser Geschick, die Pfade zu beschreiten, die wir beschreiten?« Und natürlich, als sollte etwas bewiesen werden, war ich tatsächlich ein Jahr später in Los Angeles ….
Wir drückten unsere Zigaretten aus und legten unsere Sicherheitsgurte an, dann nochmal auf französisch und spanisch, als plötzlich die Erster-Klasse-Lounge der
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