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AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating

AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating

Titel: AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gill Gartenstadt
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der Kerl ihr schon alles geschrieben hat? So leidenschaftlich wie sie möchte ich auch gerne mal geküsst werden.
    Nach dem Essen gehen wir zum Wallraf-Richartz-Museum, weil wir uns die Ausstellung »1912 – Mission Moderne. Die Jahrhundertschau des Sonderbundes 69 « ansehen wollen. Auf dem Rathausplatz ist eine große Ausgrabungsstätte, und ich sehe ein kleines Schild »MIKWE«.
    »Lisa, komm, die schauen wir uns mal an. Das ist ein jüdisches Ritualbad aus dem Mittelalter.«
    Wir schlängeln uns an einem Bauzaun vorbei und stehen vor einem kleinen Türchen. Dahinter führt eine Treppe hinab. Das Türchen ist verschlossen, aber auf einem Zettel steht, wo man den Schlüssel abholen kann. Im selben Moment kommt eine Gruppe auf uns zu. Der Führer hat den Schlüssel, und alle gehen rein. Wir laufen einfach mit und landen in einem sehr kleinen Raum. Auf der gegenüberliegenden Seite sieht man noch den damaligen Eingang, er ist zugemauert. Eine in Stein gehauene Wendeltreppe führt schwindelerregend tief hinab in den Schacht bis zum Grundwasser, das dem jüdischen Ritus nach als »lebendiges Wasser« gilt. Wir stehen lange im Vorraum und hören, was der junge Mann der Gruppe erzählt. Ich schaue in die Runde. Viele ältere Leute, wahrscheinlich Juden. Mit meinem Aussehen und meinem Interesse fühle ich mich dazugehörig. Als alle hinabsteigen, wollen wir mitgehen, aber eine ältere Frau sagt zu mir:
    »Wir sind eine Gruppe. Sie gehören nicht dazu. Gehen sie als letzte.«
     
    Donnerstag, 25. Oktober 2012
    Abend.
    Von Mario habe ich bisher nichts gehört.
     
    SMS an Mario
    18:04, 25 Okt.
     
    Hi Mario, bei unserem letzten Telefonat war ich zwar furchtbar müde, dass wir uns für Sa verabredet haben, hab ich aber doch noch mitbekommen:) Was wollen wir machen? Sollen wir heute Abend nochmal sprechen? Viele Grüße, Gill
     
    Freitag, 26. Oktober 2012
     
    SMS von Mario
    20:00, 26 Okt.
     
    Liebe Gill, ich glaube, dass unsere Interessen auseinander gehen. Man sagt auch, dass die Schere klafft, auseinander geht. Vielleicht können wir ja doch noch einmal telefonieren? Viele herzliche Grüße, Mario
     
    Die Schere klafft? Was ist denn das für ein bescheuerter Ausdruck? Klingt irgendwie brutal, wie die Wunde klafft.
    Ich rufe ihn an. Ich höre Musik.
    ♫ DON’T LET GO!
    NEVER GIVE UP, IT’S SUCH A WONDERFUL LIFE 70 .
    Ich spreche nicht aufs Band.
     
    SMS an Mario
    20:47, 26 Okt.
     
    Lieber Mario, ich weiß nicht, wie Du das meinst. Ruf mich doch nochmal an, ich habs eben schon versucht...Gill
     
    Um 20.49 Uhr rufe ich ihn wieder an und spreche diesmal auf Band: »Hallo Mario, hier ist Gill. Ich verstehe dich nicht und deine Mitteilungen. Ruf mich doch einfach an, meine Telefonnummern habe ich dir ja gegeben.«
     
    Samstag, 27. Oktober 2012
     
    SMS von Mario
    17:07, 27 Okt.
     
    Liebe Gill, ich werde es dir mal erklären. Ok?
     
    Heute ist Samstag, wir wären heute Abend verabredet gewesen. Warum soll ich mir jetzt noch anhören, weshalb er mich nicht treffen will? Ich kenne ihn ja gar nicht. Und ich habe keine Lust mehr, ihn noch kennen zu lernen.
     
    Sonntag, 28. Oktober 2012
     
    SMS von Mario
    16:08, 28 Okt.
     
    Liebe Gill, tut mir leid. Mir ging es die letzten Tage mit meiner Bronchitis nicht gut. Zudem fiel mir dann noch die sprichwörtliche Decke auf den Kopf. Das war dann nicht okay und fair, wie ich Kommunikation mit dir gepflegt habe.
    Wenn du noch magst/ich wieder Stimme habe, melde ich mich gerne. Und: Herzliche Glückwünsche nachträglich zu deinem Geburtstag!!!
     
    Abend.
    Erst jetzt lese ich seine Nachricht. Nichts ist verletzender als eine Entschuldigung. Er entschuldigt sich für sein Verhalten. Das Verhalten ist kein Alleinstellungsmerkmal in den unendlichen Weiten des Internets, und es ist mir schon gar nicht mehr als Fehlverhalten aufgefallen. Ich habe mich nur darüber gewundert und war neugierig, wie es dazu kommen konnte. Mir fällt es ohnehin schwer über dieses Medium einen persönlichen Bezug zu jemandem aufzubauen. Keiner wirkt auf mich als Individuum, selbst das Verhalten nehme ich nicht mehr individualisiert wahr; jede Nachricht, jede telefonische Kontaktaufnahme, jeder Ausspruch könnte auch von einem anderen kommen. Sie sind sich alle so gleich. Eine anonyme Ansammlung von namenlosen Niemanden. Jeder faucht aus seiner eigenen Hölle. Diese verspäteten Geburtstagswünsche per SMS empfinde ich als demütigend. Wieso sollte er sich darüber freuen, dass es mich gibt? Er kennt mich

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