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AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating

AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating

Titel: AUTOMATENHELDEN: Ein Jahr Online-Dating Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gill Gartenstadt
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Vormittags?
     
    Montag, 10. September 2012
    Abend.
    Heute finde ich in der Rheinischen Zeit in der Rubrik »Guten Morgen«:
     
    Ich liebe Dich und möchte nichts lieber als bei Dir sein. Du bist immer in meinem Herzen und irgendwann wird es Wirklichkeit.
     
    Könnte von mir sein.
     
    Von Marc habe ich nichts mehr gehört. Auf dem Britishfestival war ich alleine und habe mir da einen Ingwer-Zitronentee gekauft, den ich in London immer getrunken habe, wenn ich alleine im Hotelzimmer war.
     
    Mittwoch, 12. September 2012
    Vormittag.
    Um 10:20 Uhr rufe ich ihn an und lasse es zehnmal klingeln. Er geht nicht ran und ruft auch nicht zurück. Die Hoffnung ist eine immergrüne Pflanze.
     
    Bei der Frauenärztin ist alles in Ordnung. Sie kann im Ultraschall nichts Ungewöhnliches erkennen und führt meine Zwischenblutung auf Stress zurück.
     
    Sonntag, 16. September 2012
    Mir geht es nicht gut. Ich bin so erschöpft und liege den ganzen Sonntag auf dem Sofa. Das blau-grün gestreifte Kissen, auf dem Marc gelegen hatte, habe ich mit dem rot-gelb gestreiften Kissen von meiner Sofaseite getauscht und den ganzen Nachmittag mit dem Gesicht darauf geschlafen.
     
    Montag, 17. September 2012
    Morgen.
    Ich habe ein entzündetes Auge. Schrecklich. Auch mein Hausarzt ist entsetzt und desinfiziert sich sofort die Hände, nachdem er mir erst die Hand geschüttelt und mir dann in die Augen geschaut hat. Er erzählt mir, dass er sich mal bei einem Patienten angesteckt hat und dann sechs Wochen außer Gefecht gesetzt war. Es könnte eine normale Bindehautentzündung sein, die man mit antibiotischen Tropfen schnell kurieren könnte, oder eben eine seltene, sehr schmerzhafte Infektion, die sich nach der Gabe solcher Tropfen nur verschlimmert. Dann sollte ich sofort zum Augenarzt gehen, aber mich vorher unbedingt telefonisch ankündigen, damit man mir einen Termin zum Ende der Sprechstunde geben kann, wenn alle Patienten schon weg sind. Auch sollte ich alle Verabredungen absagen und möglichst nicht in den Kindergarten gehen. Keime dieser Art hätten schon ganze Schulen lahmgelegt. Ich verspüre den kurzen Reflex zu dieser Bemerkung: »In Zukunft sollte ich lieber die Finger vom Online-Dating lassen.« Kann sie mir aber gerade noch verkneifen. Stattdessen frage ich betont unschuldig:
    »Wo habe ich das denn her?«
    »Da wird sie wohl jemand angesteckt haben.«
    Er gibt mir ein Rezept und zeigt auf sein Waschbecken:
    »Sie dürfen sich jetzt hier die Hände desinfizieren.«
    Dann geleitet er mich durch die Praxis bis nach draußen, damit ich keine Türen mehr anfasse.
     
    Samstag, 22. September 2012
    Abend.
    Meine Nachbarin konnte ich doch noch überreden, mit mir zur Vernissage von Andreas Gursky in den Kunstpalast zu fahren. Der Fotograf lebt in Düsseldorf und ist Professor an der Kunstakademie. Die erste Arbeit, die ich von ihm gesehen habe, war 99 Cent (1999) im Hamburger Bahnhof in Berlin. Das großformatige digital bearbeitete Bild eines amerikanischen Supermarkts ist eins der teuersten Fotos der Welt. 64 Durch das Aneinanderfügen einzelner Aufnahmen zu einem großen Ganzen erzielt Gursky in seinen Arbeiten eine die Realität übersteigernde Tiefenschärfe und einen immensen Detailreichtum. Seine in unserer Wahrnehmung nicht möglichen Perspektiven erzeugen eine geradezu hypnotische Sogwirkung auf jeden Betrachter.
    Dem besonderen Anlass entsprechend, habe ich mich zurecht gemacht und hole Larissa ab. Mein Auge ist noch nicht OK, meine harten Kontaktlinsen kann ich also vergessen, weshalb ich mit meiner PRIMA Brille – auf jedem Bügel sind fünf goldene Sterne nebst Schriftzug appliziert – unter die Leute muss. Sie trägt einen roten Hoodie 65 , farblich abgestimmt zur roten Stoffhose und darüber eine schwarze Daunenweste und braune Cowboystiefel. Anstelle einer Frisur hat sie einen verwuschelten Pferdeschwanz. Sie ist gerade aufgestanden und von der Schützenfestwoche ganz schön KO. Ihr Mann ist neu in der Kompanie, und sie musste die Schützen zuhause bewirten und im Festzelt mit dabei sein. Eine Parallelwelt unseres Dorfes, zu der ich bisher keinen Zutritt hatte/haben wollte. Sie sieht aus wie frisch vom Feld. Aber egal, Larissa ist sehr nett, und ich bin so froh, dass überhaupt jemand mit mir mitkommt.
    Als sich die große Flügeltür zum Ausstellungsraum öffnet, bin ich die erste, die durchrennt und vor einem neuen Foto stehen bleibt. Begeistert gehe ich ganz nah ran und zeige geschwind auf alles was mir auffällt,

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