Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
werden!«
»Mir erscheint das als eine gefährliche Irrlehre«, entgegnete Gwenhwyfar. »Wenn die Menschen glauben, daß alle früher oder später gerettet werden, kann sie nichts davon abhalten, in diesem Leben Sünden zu begehen. Denn sie vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit.«
»Ich glaube nicht, daß die Furcht vor den Priestern, vor Gottes Zorn oder irgend etwas die Menschen davon abhalten kann, zu sündigen«, sagte Nimue. »Das werden sie erst tun, wenn sie nach all ihren Leben weise genug geworden sind. Dann wissen sie, daß Fehler nutzlos sind und sie für das Böse früher oder später bezahlen müssen.«
»Um Himmels willen, sei still, mein Kind«, rief Gwenhwyfar, »denk doch nur, wenn jemand deine ketzerischen Worte hören würde! Obwohl, es ist wahr«, fuhr sie nach einem Augenblick fort, »seit diesem Tag an Ostern scheint mir Gott in seiner Liebe unendlich barmherzig zu sein. Vielleicht nimmt Gott die Sünden nicht so wichtig, wie manche Priester es uns glauben machen wollen… das ist vielleicht auch schon ein ketzerischer Gedanke.«
Nimue lächelte nur und dachte:
Ich bin nicht an den Hof gekommen, um Gwenhwyfar zu bekehren. Ich habe eine gefährlichere Aufgabe. Es ist nicht meine Pflicht, ihr die Wahrheit zu predigen, die da sagt: Eines Tages werden alle Männer und Frauen erleuchtet sein.
»Glaubst
du
nicht auch, daß Christus wiederkommen wird, Nimue?«
Nein,
dachte Nimue,
ich glaube, daß die großen Erleuchteten wie Christus nur einmal auf die Erde kommen, nachdem sie in vielen Leben Weisheit erlangt haben. Danach gehen sie für immer in die Ewigkeit ein. Aber ich
glaube, die Göttlichen schicken andere große Meister, die den Menschen die Wahrheit verkünden. Die Menschheit wird sie immer mit dem Kreuz, dem Feuer und Steinen empfangen.
»Was ich glaube, ist unwichtig, Tante. Wichtig ist nur die Wahrheit. Manche Priester predigen, ihr Gott sei ein Gott der Liebe. Andere verkünden, er sei böse und rachsüchtig. Manchmal glaube ich, die Priester wurden gesandt, um die Menschen zu bestrafen. Da sie nicht hören wollten, als Christus von Liebe sprach, schickte Gott ihnen die Priester mit ihrer Botschaft von Haß und Fanatismus.« Sie schwieg, denn sie wollte Gwenhwyfar nicht verärgern.
Aber die Königin entgegnete nur: »Ich habe solche Priester gekannt.«
»Wenn manche Priester schlechte Menschen sind«, sagte Nimue, »halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß manche Druiden gute Menschen sein können.«
Gwenhwyfar dachte, irgend etwas muß an dieser Überlegung falsch sein, aber sie kam nicht dahinter, was es war. »Nun, mein Liebes, vielleicht hast du recht. Aber es macht mich ganz krank, dich mit dem Merlin zusammen zu sehen. Ich weiß zwar, daß Morgaine viel von ihm hielt… es gab am Hof hier Gerüchte, daß sie sich sogar liebten… ich habe mich oft gefragt, wie eine so anspruchsvolle Frau sich von dem Merlin umarmen lassen konnte.«
Nimue hatte das nicht gewußt. Sie nahm es aufmerksam zur Kenntnis. Kannte Morgaine deshalb Kevins verwundbare Stelle? Sie sagte nur: »Von allem, was ich in Avalon lernte, liebe ich die Musik am meisten. In der Heiligen Schrift gefällt mir am besten der Psalmist, der uns sagt: Ehret Gott mit Lauten und Harfen. Kevin hat versprochen, mir eine Harfe zu beschaffen, denn ich bin ohne meine Harfe hierhergekommen. Darf ich ihn hierher bitten, Tante?«
Gwenhwyfar zögerte. Aber sie konnte dem bittenden Lächeln des jungen Mädchens nicht widerstehen und antwortete: »Sicher darfst du das, mein liebes Kind.«
9
Nach einiger Zeit kam der Merlin.
Nein,
dachte Nimue,
ich darf nicht vergessen: Er ist nur noch Kevin, der Harfner, ein Verräter an Avalon – jetzt ist er ein Christ, und kein Gesetz verbietet mehr, daß ein anderer seine Harfe berührt,
dachte sie, als sie den Diener sah, der ihm mit der Harfe folgte. Es
ist einfacher so, denn sonst müßte er ständig einen Eingeweihten um sich haben, der die Harfe trägt, wenn ihn seine Kräfte verlassen.
Kevin schleppte sich an zwei Stöcken vorwärts. Aber er lächelte die Damen an und sagte: »Ihr müßt Euch vorstellen, meine Königin und meine Herrin Nimue, daß mein Geist die höfliche Verbeugung gemacht hat, zu der mein widerspenstiger Körper nicht mehr fähig ist.«
Nimue flüsterte: »Ich bitte Euch, Tante… bietet ihm einen Platz an. Er kann nicht lange stehen.«
Gwenhwyfar bedeutete Kevin mit einer Geste, sich zu setzen. Sie war wieder einmal froh über ihre Kurzsichtigkeit, denn
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