Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
kam hierher. Aber jetzt weiß ich, daß ich das Richtige getan habe. Du hast das Gesicht. Du kannst in den Spiegel blicken und mir sagen, wo Galahad sich aufhält! Ich werde sogar seinen Zorn riskieren und von ihm verlangen, daß er die Suche nach dem Gral aufgibt und mit mir nach Camelot zurückkehrt…«
Der Boden unter Morgaines Füßen schien zu schwanken. Einmal war sie unvorsichtig in den Sumpf geraten, und der Morast hatte unter ihr nachgegeben. So schien es auch jetzt zu sein – als müsse sie sich sofort auf den festen Boden werfen… Wie aus weiter Ferne hörte sie sich sagen: »Du wirst mit deinem Sohn nach Camelot zurückkehren, Lancelot…«, und sie wunderte sich über die Kälte, die sie plötzlich überfiel. »Ich werde für dich in den Spiegel blicken, Vetter. Aber ich kenne Galahad nicht. Es mag sein, daß ich nichts sehe, was dir von Nutzen sein kann.«
»Aber versprich mir, daß du alles tust, was in deiner Macht steht«, bat Lancelot. Morgaine antwortete: »Ich habe dir bereits gesagt, ich werde in den Spiegel blicken. Aber es muß geschehen, wie die Göttin befiehlt… Komm!«
Die Sonne stand hoch am Himmel. Als sie den Hügel hinauf zur Heiligen Quelle gingen, flog krächzend ein Rabe über ihre Köpfe hinweg. Lancelot bekreuzigte sich gegen das schlechte Omen.
Aber Morgaine blickte auf und fragte: »Was hast du gesagt, meine Schwester?« Ravens Stimme sagte in ihr:
Fürchte dich nicht. Mordred wird Galahad nicht töten. Aber Artus wird Mordred töten.
Laut sagte Morgaine: »Artus wird Hirschkönig bleiben…«
Lancelot drehte sich um und sah sie verwundert an: »Was sagst du da, Morgaine?«
Raven befahl ihr:
Geht nicht zur Heiligen Quelle, sondern zur Kapelle. Die Zeit ist gekommen.
Lancelot erkundigte sich: »Wohin gehen wir? Kenne ich selbst den Weg zur Heiligen Quelle nicht mehr?«
Morgaine hob den Kopf und bemerkte, daß sie nicht an der Quelle, sondern vor der kleinen Kapelle standen, in der die alte christliche Bruderschaft ihre Gottesdienste feierte. Sie erzählten, die Ordensbrüder hätten sie errichtet, als Joseph von Arimathia seinen Stab auf dem Hügel Wearyall in die Erde stieß. Morgaine brach einen Zweig von dem Heiligen Dornbusch. Die Dornen stachen ihr tief in den Finger, und sie wußte kaum, was sie tat, als sie die Hand ausstreckte und Lancelots Stirn mit ihrem Blut zeichnete.
Der Ritter sah sie verwundert an. Sie hörte den leisen Gesang der Priester:
Kyrie eleison. Christe eleison.
Schweigend ging sie hinein und kniete zu ihrer eigenen Überraschung nieder. Nebelschleier zogen durch die Kapelle, und Morgaine glaubte durch den Nebel hindurch die andere Kirche auf Ynis Witrin zu sehen; sie hörte hier und dort den Gesang…
Kyrie eleison…
Auch Frauen sangen. Ja, es mußte Ynis Witrin sein, denn in der Kapelle auf Avalon waren keine Frauen – es mußten die Nonnen aus dem Kloster sein. Einen Augenblick lang schien Igraine neben ihr zu knien, und Morgaine hörte, wie sie mit ihrer klaren und weichen Stimme das
Christe eleison
sang. Der Priester stand am Altar, und sie glaubte, Nimue dort zu sehen. Die goldblonden Haare fielen ihr über den Rücken, und sie sah so schön und liebenswert aus wie Gwenhwyfar als junges Mädchen im Kloster. Aber anstatt die alte wilde Eifersucht zu empfinden, bewunderte Morgaine aufrichtig und liebevoll ihre Schönheit… Der Nebel verdichtete sich. Sie konnte Lancelot kaum noch sehen, der neben ihr kniete. Aber vor sich, in der
anderen
Kapelle sah sie Galahad.
Er kniete mit erhobenem und strahlendem Gesicht vor dem Altar, und auf seinem Gesicht lag ein überirdischer Glanz… Morgaine wußte, auch er blickte durch den Nebel in die Kapelle auf Avalon, wo der Gral stand… In der anderen Kirche hörte sie das Läuten heller Glöckchen… sie wußte nicht, ob der Priester hier auf Avalon oder der Priester auf Ynis Witrin sprach… in ihr murmelte die sanfte Stimme von Taliesin: »In der Nacht, in der Christus verraten wurde, nahm der Herr den Kelch, segnete ihn und sprach:
Trinket alle davon, denn das ist mein Blut, das für euch vergossen wird. Und wenn ihr aus diesem Kelch trinkt, tut es zu meinem Gedächtnis.«
Sie sah den Schatten des Priesters, der den Kelch des Abendmahls hob – aber es war Nimue, die jungfräuliche Hüterin des Grals… oder war sie es selbst, die den Kelch an seine Lippen setzte.
Lancelot stürzte vorwärts und rief: »Ah… das Licht, das Licht…!« Er fiel auf die Knie, bedeckte die Augen mit den Händen
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