Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
sagte: »Herrin …«
Sie blickte nicht auf. »Ich habe Euch geheißen, Euch von mir fernzuhalten, Priester. Beschwert Euch bei Gorlois über mich bei seiner Rückkehr, wenn Ihr wollt. Aber sprecht nicht mit mir.«
»Einer der Männer des Herzogs ist von den Klippen gefallen und hat sich verletzt. Seine Kameraden glauben, daß er sterben wird und haben mich gebeten, zu ihm zu kommen. Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Ihr werdet in guter Hut sein.«
Igraine wußte es… nur war es ihr nicht in den Sinn gekommen: Ohne den Priester würde ihr die Flucht vielleicht gelingen. Aber wohin konnte sie sich wenden? Das Land gehörte Gorlois, und keiner seiner Untertanen würde der entflohenen Gemahlin des Herzogs Schutz vor seinem Zorn gewähren. Einfache Flucht war nie ihre Absicht gewesen.
»Geht, und der Teufel möge Euch holen, damit Ihr mir nie wieder unter die Augen tretet«, sagte sie und drehte ihm den Rücken zu.
»Wenn Ihr Euch erdreistet, mich zu verfluchen, Weib…«
»Warum sollte ich meinen Atem an einen Fluch verschwenden? Ich will Euch ebensogern eine angenehme Reise in Euren Himmel wünschen. Vielleicht findet Euer Gott größeren Gefallen an Eurer Gesellschaft als ich.«
Sobald er auf seinem kleinen Esel über den Weg zum Festland ritt, wußte Igraine, weshalb sie das Gefühl gehabt hatte, sich von diesem Priester befreien zu müssen. Er war auf seine Weise in die Mysterien eingeweiht, wenn auch nicht in ihre Geheimnisse. Er würde schnell wissen, was sie beabsichtigte, und es mißbilligen. Sie ging in Morgauses Kammer und fand den silbernen Spiegel. Dann befahl sie den Mägden in der Küche, in ihrem Zimmer ein Feuer zu machen; man starrte sie verwundert an, denn es war nicht kalt. Aber Igraine wiederholte ihren Befehl, als sei es die gewöhnlichste Sache der Welt.
Sie nahm selbst ein paar Dinge aus der Küche mit: Salz und ein wenig Öl, etwas Brot und eine kleine Flasche Wein – ohne Zweifel glaubten die Frauen, es sei für ihr Mittagsmahl bestimmt –, und um ihre Absicht zu verbergen, nahm sie auch ein bißchen Käse, mit dem sie später die Möwen fütterte.
Im Garten fand sie Lavendelblüten und sogar etliche Hagebutten von den Heckenrosen. Mit ihrem kleinen Messer schnitt sie sich einige Wacholderzweige und einen dünnen Haselnußzweig. Wieder in der Kammer, schob sie den Riegel vor, streifte ihr Gewand ab und stand nackt und zitternd am Feuer. Sie hatte das noch nie getan und wußte, Viviane würde es nicht billigen. Jemand, der in den Zauberkünsten nicht bewandert war, konnte Schlimmes erleben, wenn er sich darin versuchte. Aber sie wußte, nur so konnte sie das Gesicht heraufbeschwören, auch wenn sie es nicht besaß.
Igraine warf den Wacholder in das Feuer und band sich den Haselnußzweig um die Stirn, während der Rauch aufstieg. Sie legte Früchte und Blumen vor den Flammen nieder, betupfte ihre Brüste mit Salz und Öl, nahm einen Bissen Brot und trank einen Schluck Wein. Dann legte sie bebend den silbernen Spiegel an eine Stelle auf den Boden, wo ihn der Feuerschein traf. Sie goß Wasser aus dem Faß mit reinem Regenwasser, das zum Haarewaschen bestimmt war, auf die silberne Oberfläche. Dann flüsterte sie: »Bei allem Gewöhnlichen und Ungewöhnlichen, bei Wasser und Feuer, Salz, Öl und Wein, bei Früchten und Blüten flehe ich dich an, Große Göttin, zeige mir meine Schwester Viviane.«
Langsam geriet die Wasseroberfläche in Bewegung. Igraine zitterte plötzlich unter einem eisigen Wind. Einen Augenblick lang fragte sie sich, ob der Zauber fehlschlagen würde, ob ihre Zauberei Lästerung sei. Im Spiegel formte sich zunächst undeutlich ihr eigenes Gesicht. Dann veränderte es sich langsam, verwandelte sich in das ehrfurchterregende Gesicht der Göttin mit dem Kranz aus Vogelbeeren auf der Stirn. Und dann, als das Bild klarer hervortrat und die Umrisse deutlicher wurden, sah Igraine – nicht wie sie gehofft und vorausgesehen hatte – ein lebendes und sprechendes Gesicht vor sich. Sie blickte in einen Raum, den sie kannte; er war einmal die Kammer ihrer Mutter in Avalon gewesen. Und dort befanden sich Frauen in den dunklen Gewändern der Priesterinnen. Zunächst suchte Igraine ihre Schwester vergeblich, denn die Frauen kamen und gingen, bewegten sich hin und her. In der Kammer herrschte große Aufregung.
Und dann sah sie Viviane. Sie wirkte erschöpft, krank, und ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerzen. Sie ging hin und her und stützte sich auf den Arm einer
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