Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
selbstbewußtes kleines Geschöpf. Ihre dunklen Haare waren inzwischen lang genug, um sie zu einem Zopf zu flechten, der ihr bis auf die Schulter fiel; aber dort lösten sich die feinen Haare wieder zu zarten Elfenlocken. Sie hatte dunkle und ernste Augen und gerade, kräftige Augenbrauen – so dicht, daß sie dem jungen Gesicht bereits ausgeprägte Züge gaben.
Eine kleine Fee,
dachte Igraine.
Überhaupt nicht menschlich. Sie ist eine Elfe.
Morgaine war nicht größer als das knapp zweijährige Mädchen des Schafhirten, obwohl sie bald vier wurde und so klar und vernünftig sprach wie ein großes Mädchen von acht oder neun Jahren.
Igraine nahm das Kind in ihre Arme und preßte es an sich. »Mein kleines Elfenkind.«
Morgaine duldete die Zärtlichkeit und küßte ihre Mutter sogar, was Igraine erstaunte. Morgaine war nicht von überschwenglicher Natur. Schon bald begann sie, sich unruhig im Arm der Mutter zu winden – sie gehörte nicht zu den Kindern, die lange gehalten werden wollen.
Morgaine beharrte auf Selbständigkeit. In letzter Zeit zog sie sich sogar selbst an und schloß auch eigenhändig die Schnallen an ihren kleinen Schuhen. Igraine stellte das Kind auf den Boden. Friedlich ging es neben ihr in die Burg zurück. Igraine setzte sich an den Webstuhl und bedeutete Morgaine, sich mit ihrer Spindel neben sie zu setzen. Das kleine Mädchen gehorchte, und Igraine, die bereits ihr Schiffchen in Bewegung gesetzt hatte, hielt inne, um sie zu beobachten.
Morgaine besaß geschickte Hände und sichere Bewegungen. Der Faden geriet zwar ungleichmäßig, aber sie drehte die Spindel mühelos wie ein Spielzeug und ließ das Garn durch ihre kleinen Finger gleiten. Mit größeren Händen hätte sie bereits ebenso gut wie Morgause spinnen können.
Nach einiger Zeit sagte Morgaine: »Ich erinnere mich nicht an meinen Vater. Wo ist er, Mutter?«
»Er ist mit seinen Soldaten im Sommerland, meine Tochter.«
»Wann wird er wiederkommen?«
»Ich weiß nicht, Morgaine. Möchtest du, daß er wiederkommt?«
Das Kind überlegte einen Moment. »Nein«, erwiderte Morgaine, »denn als er hier war… ich weiß nur noch wenig… mußte ich bei Tante Morgause schlafen. In ihrem Zimmer war es dunkel, und anfangs fürchtete ich mich. Ich war damals sehr klein«, fügte sie ernsthaft hinzu. Igraine unterdrückte ein Lächeln. Nach einer Weile fuhr sie fort:
»Und ich möchte nicht, daß er nach Hause kommt. Er hat dich zum Weinen gebracht.«
Ja, Viviane hatte es gesagt: Frauen billigen Kindern nicht genug Verstand zu, um zu begreifen, was um sie herum geschieht.
»Warum hast du nicht noch ein Kind, Mutter? Andere bekommen wieder eines, sobald das ältere Kind entwöhnt ist. Und ich bin bereits vier Jahre alt. Ich habe gehört, wie Isotta sagte, du hättest mir einen Bruder schenken sollen. Ich glaube, ich hätte gerne einen kleinen Bruder oder auch eine kleine Schwester… zum Spielen.«
Igraine setzte zur Antwort an und sagte: »Weil dein Vater Gorlois…« Aber dann brach sie ab. Gleichgültig, wie erwachsen Morgaines Worte auch klangen, sie war noch ein Kind, und man konnte ihr solche Dinge nicht anvertrauen. »Weil die Muttergöttin es nicht für richtig gehalten hat, mir einen Sohn zu schenken, Morgaine.«
Vater Columba trat zu ihnen und sagte streng: »Ihr solltet mit dem Kind nicht über Göttinnen und Aberglauben sprechen. Gorlois wünscht, daß sie als gute Christin erzogen wird. Morgaine, deine Mutter hat keinen Sohn, weil dein Vater böse auf sie war. Und Gott versagte ihr einen Sohn, um sie für ihren sündigen Willen zu bestrafen.«
Nicht zum ersten Mal hatte Igraine das Gefühl, ihr Weberschiffchen nach dieser schwarzen Unglückskrähe werfen zu müssen. Hatte Gorlois diesem Mann gebeichtet? Wußte er alles, was zwischen ihnen vorgefallen war? In den vergangenen Monaten hatte sie sich das oft gefragt. Aber es bot sich nie ein Vorwand, ihn zur Rede zu stellen. Außerdem wußte sie, daß Vater Columba ihr nichts sagen würde, wenn er etwas wußte. Plötzlich stand Morgaine auf und schnitt dem Priester eine Fratze.
»Geh weg, alter Mann!« sagte sie laut und deutlich, »ich mag dich nicht. Du hast meine Mutter zum Weinen gebracht. Meine Mutter weiß mehr als du. Wenn sie sagt, es ist die Göttin, die ihr kein Kind geschickt hat, glaube ich ihr und nicht dir, denn meine Mutter lügt nicht!«
Vater Columba wandte sich ärgerlich an Igraine: »Hier seht Ihr, wohin Euer Starrsinn führt, Herrin! Man sollte dieses
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