Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
ganzen Tag über war Igraine in Schweigen versunken und mit ihren Gedanken woanders. Sie schimpfte sogar mit Morgaine, die ausgelassen herumtobte, weil sie sich freute, nach so langer Zeit des Eingesperrtseins und der winterlichen Kälte wieder an die Luft zu können.
Ich sollte zu meinem Kind nicht so hart sein, nur weil ich in Gedanken bei meinem Geliebten bin,
dachte Igraine. Wütend auf sich selbst, rief sie Morgaine zu sich und gab ihr einen Kuß. Als ihre Lippen die sanfte Wange berührten, durchlief sie ein Schauer. Durch ihre unerlaubten Zauberkünste hatte sie ihren Geliebten vor dem Hinterhalt gewarnt und damit vielleicht dem Vater ihres Kindes den Tod gebracht …
… Nein! Gorlois hatte seinen Großkönig verraten. Unabhängig davon, was Igraine getan oder nicht getan hatte, drohte Gorlois der Tod, und durch seinen Wortbruch hatte er ihn auch verdient. Es sei denn, er konnte seinen Frevel in der Tat dadurch vollkommen machen, daß er den Mann tötete, den Ambrosius dazu bestimmt hatte, Britannien zu verteidigen…
Vater Columba trat zu Igraine und bestand darauf, daß sie den Frauen und Dienstboten verbat, die Sonnwendfeuer zu entzünden.
»Ihr solltet ihnen mit gutem Beispiel vorangehen, indem Ihr heute abend zur Messe kommt«, verlangte er. »Es ist schon lange her, Herrin, daß Ihr die heiligen Sakramente empfangen habt.«
»Ich bin krank gewesen«, erwiderte sie ungerührt, »und was die Sakramente angeht, glaube ich mich zu erinnern, daß Ihr mir die Letzte Ölung auf dem Krankenlager erteilt habt. Vielleicht habe ich das auch nur geträumt… ich habe viel geträumt.«
»Ja, vieles«, antwortete der Priester, »und Dinge, die eine Christin nicht träumen darf. Ich gab Euch die Sterbesakramente um des Herzogs willen, denn Ihr hattet nicht die Kraft zu beichten und sie würdig zu empfangen.«
»Ja, ja, ich weiß wohl, es geschah nicht um meiner selbst willen«, erwiderte Igraine, und es zuckte um ihre Lippen.
»Ich maße mir nicht an, der Barmherzigkeit Gottes Grenzen zu setzen«, sagte der Priester, und Igraine wußte, was er nicht aussprach: Er würde aus Barmherzigkeit auch eine Sünde begehen, denn aus irgendeinem Grunde lag Gorlois etwas an Igraine. Er würde es Gott überlassen, sie zu bestrafen… und Gott würde das zweifellos auch tun…
Schließlich versprach Igraine, die Messe zu besuchen. Die neue Religion behagte ihr zwar nicht, aber Ambrosius war ein Christ gewesen; das Christentum war die Religion aller vernünftigen Menschen in ganz Britannien, und in Zukunft würde sich dies noch verstärken. Uther würde sich der öffentlichen Meinung beugen müssen, gleichgültig, was er insgeheim vom neuen Glauben hielt. Sie wußte nicht wirklich, wie er in Gewissensfragen dachte – würde sie es je wissen?
Er hat geschworen, zur Wintersonnenwende hierzusein.
Igraine senkte den Blick und versuchte, sich auf die Liturgie zu konzentrieren…
Es dämmerte bereits, und Igraine unterhielt sich mit ihren Frauen in der Küche. Plötzlich entstand am Landende des Damms Unruhe. Sie hörte Reiter und dann Rufen im Burghof. Sie warf sich schnell einen Schal über und rannte hinaus. Morgause folgte ihr. Am Tor standen Männer in römischen Umhängen, wie Gorlois' Truppen sie trugen. Aber die Wachen versperrten ihnen mit ihren langen Lanzen den Weg.
»Herzog Gorlois hat Befehl gegeben, daß niemand außer ihm selbst oder in seiner Begleitung die Burg betreten darf.« Ein Mann inmitten der Ankömmlinge richtete sich auf. Er war sehr groß. »Ich bin der Merlin von Britannien«, verkündete er mit seiner volltönenden Stimme, die durch Nebel und Dunkelheit hallte. »Tretet beiseite, Männer! Ihr werdet
mir
nicht den Durchgang verwehren.«
In tiefer Ehrerbietung trat die Wache zurück, aber Vater Columba stellte sich dem Merlin mit einer herrischen Gebärde in den Weg. »Ich verbiete es Euch! Mein Herr, der Herzog von Cornwall, hat befohlen, daß gerade Ihr, alter Zauberer, zu keiner Zeit die Burg betreten dürft!« Die Soldaten standen mit offenem Mund daneben, und trotz ihres Zorns mußte Igraine den Mut des Christen bewundern: dummer, lästiger Priester! Aber es war nicht so einfach, sich dem Merlin von Britannien entgegenzustellen.
Vater Columba hielt das schwere Holzkreuz hoch, das an seinem Gürtel hing. »Im Namen des Herrn Jesus Christus befehle ich Euch zu gehen! Im Namen Gottes, kehrt in das Reich der Dunkelheit zurück, aus dem Ihr kommt!«
An den hohen Mauern von Tintagel brach sich das
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