Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
sie Mutter für alle. Selbst Artus kniete vor ihr nieder, als der Kelch an seinen Lippen vorüberzog.
Ich bin alles… Jungfrau und Mutter und die Göttin, die Leben und Tod schenkt. Verleugnet mich, wenn ihr es wagt, ihr, die ihr andere Namen anruft… aber wisset, ich bin der Anfang und das Ende…
Morgaine dachte:
Von allen Menschen in der Großen Halle hat allein Nimue mich erkannt. Sie blickte mich in staunendem Wiedererkennen an.
Ja, auch Nimue hatte gelernt, die Göttin zu erkennen, gleich in welcher Gestalt sie zu ihr trat.
»Auch du, mein Kind«, flüsterte sie erfüllt von unendlichem Mitgefühl. Nimue kniete nieder und trank. Morgaine spürte, wie sie eine Woge von Lust und Rache überflutete und dachte:
Ja, auch das ist ein Teil von mir…
Morgaine schwankte, spürte, wie Ravens Kraft sie aufrecht hielt… Stand Raven an ihrer Seite und hielt den Kelch? Oder war es ein Trugbild, und Raven kauerte immer noch in der Ecke und hielt sie durch den Fluß ihrer Kraft aufrecht, der durch sie beide hindurch in die Göttin strömte, die den Kelch hielt… ? Später wußte Morgaine nicht, ob sie wirklich den Kelch gehalten hatte. Oder war auch das Teil des mächtigen Zaubers gewesen, den sie für die Göttin gewirkt hatte…? Doch jeder Mann, jede Frau in der Halle kniete nieder und trank, die Süße und die Seligkeit umflossen sie. Morgaine schritt dahin, als trügen sie die großen Schwingen, deren Rauschen sie hörte… und dann tauchte Mordreds Gesicht vor ihr auf.
Ich bin nicht deine Mutter. Ich bin die Mutter aller…
Galahad war bleich und überwältigt. Sah er den Kelch des Lebens oder den heiligen Kelch des Christus vor sich? Worin lag der Unterschied? Gareth, Gawain, Lucan, Bedivere, Palomides, Cai… alle alten Gefährten und viele, die sie nicht kannte; schließlich schienen die Räume jenseits der Welt durchwandert zu sein, und alle, die je zu ihnen gehörten, selbst jene, die diese Welt schon verlassen hatten, saßen an diesem Tag mit ihnen in der Tafelrunde – Ectorius, Lot, der junge Drustan, ermordet von dem eifersüchtigen Marcus, Lionel, Bors, Balin und Balan kehrten Hand in Hand durch die Pforten des Todes zurück… Alle, die sich je um die runde Tafel versammelt hatten – in der Vergangenheit oder in der Gegenwart – saßen in diesem Augenblick, der der Zeit weit entrückt war, hier an der Tafel des Königs von Camelot. Und schließlich begegnete sie auch den weisen Augen von Taliesin. Dann kniete Kevin vor ihr. Sie hob den Kelch an seine Lippen…
Auch du. Ich vergebe allen an diesem Tag… was in den Zeiten, die noch im Dunkel liegen, auch geschehen mag…
Schließlich setzte Morgaine den Kelch an ihren Mund und trank. Das köstliche Wasser der Heiligen Quelle floß über ihre Lippen. Sie sah, daß alle anderen in der Halle aßen und tranken, und als sie ein Stück Brot nahm, glaubte sie das weiche Honigbrot zu schmecken, das Igraine für sie gebacken hatte, als sie noch ein Kind in Tintagel war.
Sie stellte den Kelch auf den Altar zurück, und er strahlte wie ein Stern…
Jetzt, Raven! Jetzt! Der große Zauber! Die Druiden mußten all ihre Kraft aufbringen, um Avalon der Welt zu entrücken. Von uns wird weniger gefordert… Der Kelch, die Schale und der Speer müssen verschwinden … sie müssen für immer aus dieser Welt verschwunden sein. Wir haben sie in die Sicherheit von Avalon zu bringen, damit sie nie wieder von einem Sterblichen berührt und entweiht werden. Nie wieder soll man sie für unsere Riten unter den Ringsteinen hervorholen, denn sie sind durch einen christlichen Altar entweiht. Aber sie werden auch nie mehr von den Priestern eines kleinlichen Gottes besudelt werden, der alle anderen Wahrheiten leugnet…
Morgaine spürte Ravens Berührung. Hände umklammerten ihre Hände, und sie schien außer Ravens Hände andere Hände zu spüren. Sie wußte nicht, welche… In der Halle war zum letzten Mal das Rauschen der großen Flügel zu hören. Ein mächtiger Wind brauste durch das Gebälk… und alles war vorbei.
Helles Tageslicht fiel in den Raum, der Altar war leer, und das weiße Altartuch lag unordentlich und zerknittert darüber. Morgaine sah das bleiche und erschrockene Gesicht des Bischofs. »Gott war unter uns«, flüsterte er. »Heute haben wir den Wein des Lebens aus dem Heiligen Gral getrunken…«
Gawain sprang auf: »Aber wer hat den Heiligen Kelch gestohlen?« rief er. »Wir alle haben ihn verhüllt auf dem Altar gesehen… Ich schwöre, ich werde
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