Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
damit sie entweiht wurden. Energisch weigerte sich Nimue, den nächsten Gedanken zuzulassen: Die Christen planten keine Entweihung, sondern eine Weihe, und sie wußten nichts über die innere Wahrheit der Mysterien. Wie auch immer, der Merlin hatte einen Schwur gebrochen.
Und die Göttin erschien, um die Entweihung zu verhindern…
Man hatte Nimue weit genug in die Mysterien eingeweiht, um zu wissen, was sie gesehen hatte. Selbst jetzt durchlief sie ein Schauer beim Gedanken daran, was der Tafelrunde an diesem Tag widerfahren war. Sie verstand es nicht völlig, aber sie wußte, daß sie das Heiligste berührt hatte. Und der Merlin wollte es entweihen. Nein, er mußte sterben wie ein Hund – mehr war er nicht.
Die Harfe verstummte. Kevin sagte: »Ich habe eine Harfe für Euch, Herrin, wenn Ihr sie annehmen wollt. Ich habe sie als junger Bursche in Avalon selbst gebaut. Sie ist nicht die einzige, meine anderen sind besser. Aber es ist ein gutes Instrument, und ich habe sie lange gespielt. Sie gehört Euch, wenn Ihr sie annehmt.«
Nimue widersprach und erklärte, sie sei ein zu kostbares Geschenk. Aber insgeheim freute sie sich. Wenn sie etwas besaß, das für ihn so großen Wert hatte – die Arbeit seiner eigenen Hände –, würde ihn das ebenso an sie binden wie eine Haarlocke oder einen Tropfen seines Blutes. Selbst in Avalon wußten nur wenige, daß das Gesetz der Magie so weit reichte. Alles, was eng mit dem Geist, dem Herzen und den Gefühlen eines Menschen verbunden war, enthielt mehr von seiner Seele als eine abgeschnittene Haarlocke vom Wesen des Körpers. Und Nimue erkannte, die Musik war Kevins größte Leidenschaft. Mit Befriedigung dachte sie:
Er gibt seine Seele freiwillig in meine Hand.
Kevin ließ die Harfe bringen, und sie strich zärtlich über das kleine, kunstvoll gearbeitete Instrument. Wo sich sein Körper gegen das Holz gedrückt hatte, war es glatt poliert, und seine Hände waren sicher liebevoll über die Saiten geglitten… selbst jetzt strich er noch einmal zärtlich darüber.
Sie griff in die Saiten, um den Klang zu hören. Ja, es war eine gute Harfe. Ihm war es irgendwie gelungen, dem Material die vollkommene Form zu geben, die den Saiten den schönen Klang verlieh. Dazu war er als Knabe mit verstümmelten Händen fähig gewesen… wieder überfluteten Nimue Mitleid und Pein:
Warum ist er nicht bei seiner Musik geblieben? Warum mischt er sich in hohe Staatsgeschäfte?
»Ihr seid zu freundlich zu mir.« Sie sagte das mit zitternder Stimme und hoffte, er würde es für Leidenschaft und nicht für Triumph halten…
Damit ist er bald mit Körper und Seele mein…
Aber noch war es zu früh. Sie spürte die Gezeitenströme von Avalon in ihrem Blut und wußte, der Mond nahm zu. Ein großer Zauber wie dieser konnte nur beim dunklen Mond gewirkt werden, denn dann warf die Herrin kein Licht auf die Welt, und ihre verborgenen Absichten wurden offenbar…
Seine Leidenschaft durfte nicht zu groß werden, so wenig wie ihr Mitgefühl für ihn.
Bei Vollmond wird er mich begehren. Das Band, das ich schmiede, ist ein zweischneidiges Schwert – ein Tau mit zwei Enden.. . auch ich werde ihn begehren. Das kann ich nicht verhindern.
Um einen Zauber vollkommen zu machen, mußte er beide umfassen – den Zauberer und den Verzauberten. Starr vor Entsetzen wurde ihr bewußt, daß auch sie ihrem Zauber erliegen, daß er auf sie zurückfallen würde. Sie konnte Leidenschaft und Verlangen nicht vorgeben. Sie mußte beides
empfinden.
Ihr Herz zog sich vor Angst zusammen, als sie daran dachte, daß der Merlin zwar ihr hilflos ausgeliefert sein würde, es aber gut sein konnte, daß auch sie völlig in seine Hand geriet.
Und was wird aus mir? O Göttin, Mutter
… es
ist ein zu hoher Preis… verschone mich, ich fürchte mich…
»Nimue, mein Liebes«, sagte Gwenhwyfar. »Nun hast du eine Harfe. Wirst du jetzt für mich spielen und singen?«
Nimue ließ ihre Haare ins Gesicht fallen, während sie den Merlin ansah, und murmelte schüchtern: »Soll ich?«
»Ich bitte Euch«, erwiderte er, »Ihr habt eine wunderbare Stimme, und ich kann hören, daß Eure Hände den Saiten Zaubertöne entlocken werden…«
Wenn die Göttin mir günstig gesinnt ist, werden sie es tatsächlich tun.
Nimue dachte noch rechtzeitig daran, daß sie keines der Lieder aus Avalon spielen durfte, an die er sich erinnern, und die er kennen würde. Deshalb stimmte sie ein Trinklied an, das sie am Hof gehört hatte. Die Worte waren sehr
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