Ayesha - Sie kehrt zurück
unbeherrschter Eifersucht erschlagen und so an ihm das Urteil der wütenden Göttin vollstreckt hatte. In ihr fand ich die Göttin, zu deren Anbetung ich verurteilt worden war – zu einer Anbetung aus der Ferne, nicht im Fleisch, denn das ist alles vergangen und dahin, doch dies ist noch schlimmer, weil die Last niemals von mir genommen wird. Das Fleisch stirbt, oder verändert sich zumindest, und die Leidenschaft vergeht, doch die Passion des Geistes – diese Sehnsucht nach dem Einssein – ist unsterblich.
Was für ein Verbrechen hatte ich begangen, daß mir eine so harte Strafe auferlegt worden war? Doch ist es wirklich eine Strafe? Könnte es nicht lediglich jenes schwarze, schreckliche Tor sein, das zum Palast der Glückseligkeit führt? Sie hat mir geschworen, daß ich auf ewig ihr Freund und der Freund Leos sein und für immer bei ihnen sein würde. Und ich glaube ihr.
Wie viele Winter sind wir durch die eisigen Berge gezogen, durch Steppen und Wüsten. Doch endlich kam der Bote und führte uns zum Berg, und auf dem Berg fanden wir den Schrein, und in dem Schrein den Geist. Könnten alle diese Dinge nicht eine Allegorie sein, die man zu unserer Belehrung vorbereitet hatte? Ich möchte daran glauben. Ich hoffe, daß dem so ist. Nein, ich bin dessen sicher!
Man wird sich erinnern, daß wir in Kôr die Unsterbliche fanden. Dort, vor den zuckenden Blitzen und den aufsteigenden Dämpfen bei den Pfeilern des Lebens, erklärte sie ihre mystische Liebe und wurde dann vor unseren Augen in einen Tod gerissen, der so entsetzlich war, daß die Erinnerung daran mich noch heute, nach allem, was inzwischen geschehen ist, erschauern läßt. Doch wie lauteten Ayeshas letzte Worte? Vergeßt mich nicht ... habt Mitleid mit meiner Schande. Ich sterbe nicht. Ich werde wiederkommen, und ich werde wieder schön sein. Ich schwöre es – es ist wahr ...
Aber ich kann nicht wieder von dieser Geschichte reden. Außerdem ist sie niedergeschrieben worden. Der Mann, dem ich in dieser Angelegenheit mein Vertrauen schenkte, hat mich nicht enttäuscht, und das Buch, das er aus meiner Geschichte gemacht hat, scheint auf der ganzen Welt bekannt geworden zu sein. Ich habe es hier in Englisch gesehen, und als erstes eine hindustanische Übersetzung gelesen. Dieses Buch empfehle ich denen zu lesen, die auf den Beginn der Geschichte Ayeshas neugierig sind. {*}
In dem Haus an der einsamen Küste Cumberlands lebten wir ein Jahr lang, trauerten um unseren Verlust, suchten nach einem Weg, Ayesha zurückzugewinnen, und fanden keinen. Doch hier gewannen wir unsere Kräfte wieder, und Leos Haar, das bei den entsetzlichen Ereignissen in der Höhle weiß geworden war, wuchs wieder in seiner natürlichen blonden Farbe nach. Auch seine Schönheit kehrte zurück, sein Gesicht wurde wieder so, wie es vorher gewesen war, doch durch das Leid veredelt.
Ich werde diese Nacht niemals vergessen – vor allem nicht die Stunde unserer Erleuchtung. Wir waren in Trauer und Verzweiflung gefangen; wir suchten nach Zeichen, konnten jedoch nirgends eines finden. Die Toten blieben tot, und niemand antwortete auf unsere Tränen.
Es war ein drückend schwüler Augustabend, und nach dem Abendessen gingen wir zur Küste, lauschten dem Rauschen der schweren Brandung und sahen Blitze aus einer weit entfernten Wolke zucken. Wir gingen schweigend, bis Leo plötzlich aufstöhnte – es war mehr ein Schluchzen – und nach meinem Arm griff.
»Ich ertrage es nicht länger, Horace«, sagte er. »Ich bin völlig aufgewühlt. Meine Sehnsucht nach Ayesha bringt mich um. Solange keine Hoffnung besteht, sie wiederzusehen, ist mein Leben sinnlos. Und ich bin kräftig. Vielleicht lebe ich noch fünfzig Jahre.«
»Was kannst du dann tun?« fragte ich.
»Ich kann den kurzen Weg zum Wissen wählen – und zum Frieden«, antwortete er leise. »Ich kann sterben, und ich will sterben – ja, noch heute nacht.«
Ich blickte ihn wütend an, denn seine Worte erfüllten mich mit Angst.
»Leo, du bist ein Feigling!« sagte ich. »Kannst du nicht deinen Schmerz genauso ertragen wie ... wie andere?«
»Du meinst, wie du, Horace«, sagte er mit einem bitteren Lachen, »denn auch auf dir ruht der Fluch – und mit weniger Grund. Du bist stärker als ich, und zäher; vielleicht weil du länger gelebt hast. Nein, ich kann es nicht länger ertragen. Ich will sterben.«
»Es ist ein Verbrechen«, sagte ich, »die größte Beleidigung gegenüber den Mächten, die dich geschaffen haben, das
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