Azazel
Nachhinein an das Geschehene erinnern und es bereuen oder gar denken sollte, ich hätte sie ausgenutzt. Sie war ein impulsives Wesen und mochte mir eine Handvoll Knochen brechen, bevor ich auch nur die Zeit hätte, alles zu erklären.
Folglich schlug ich vor, zu meiner Wohnung zu laufen, und wählte den langen Weg. Die frische Abendluft kühlte die milde Wärme in ihrem Kopf ab, und ich war in Sicherheit.
Andere waren das nicht. Mehr als einmal kam ein junger Mann zu mir, um mir von Ishtar zu erzählen, da, wie du weißt, etwas an der gütigen Würde meines Betragens Vertrauensseligkeit weckt. Leider geschah dies nie in einer Bar, denn es schien, als mieden die in Rede stehenden Männer Bars, zumindest für eine gewisse Zeit. Für gewöhnlich hatten sie nämlich versucht, es Ishtar Drink für Drink gleichzutun - mit unglücklichen Folgen.
»Ich bin mir absolut sicher«, sagte einer von ihnen, »daß sie einen verborgenen Schlauch hatte, der von ihrem Mundwinkel bis hinunter zu einem Faß unter dem Tisch führte, aber ich konnte ihn nicht entdecken. Doch wenn du glaubst, das sei schon außergewöhnlich gewesen, hättest du erst mal später dabei sein müssen.«
Der arme Bursche war ausgemergelt von den Schrecknissen seiner Erfahrung. Er versuchte, mir davon zu erzählen, aber es war recht unzusammenhängend. »Diese Ansprüche«, murmelte er immer und immer wieder. »Unersättlich! Unersättlich!«
Ich war froh, daß ich hellsichtig genug gewesen war, etwas zu vermeiden, was Männer in ihren besten Jahren nur mit Mühe überlebt hatten.
In dieser Zeit sah ich Ishtar kaum, wenn du verstehst. Sie war sehr beschäftigt - soweit ich es mitbekam, verbrauchte sie den Vorrat heiratsfähiger Männer in beängstigendem Tempo. Früher oder später würde sie ihren Einflußbereich erweitern müssen. Es geschah früher.
Eines Morgens begegnete sie mir, als sie gerade auf dem Weg zum Flughafen war. Sie stand besser im Saft als je zuvor, pneumatischer, noch aufsehenerregender in allen möglichen Ausmaßen. Nichts von dem, was sie durchgemacht hatte, schien Einfluß auf sie genommen zu haben, außer in positivem Sinne.
Sie zog eine kleine Flasche aus ihrer Handtasche. »Rum«, erklärte sie. »Das trinken sie unten in der Karibik, es ist ein sehr mildes und sehr angenehmes Getränk.«
»Fliegst du denn in die Karibik, meine Liebe?«
»Oh ja, und auch an andere Orte. Die Männer daheim scheinen von ärmlicher Ausdauer und schwachem Geist zu sein. Ich bin sehr enttäuscht von ihnen, obwohl es abenteuerliche Momente gab. Ich bin dir sehr dankbar, George, daß du das möglich gemacht hast. Alles scheint begonnen zu haben, als du mich zum ersten Mal mit diesem Pfefferminz-Shake bekanntmachtest. Es ist eine Schande, daß wir beide nicht auch .«
»Unsinn, mein liebes Kind. Ich diene der Menschheit, wie du weißt. An mich selbst denke ich dabei nie.«
Sie hauchte mir einen Kuß auf die Wange, der brannte wie Schwefelsäure, und war fort. Mit einiger Erleichterung strich ich mir über die Braue, schmeichelte mir jedoch auch damit, daß meine Beschwörung Azazels wenigstens einmal glücklich ausgegangen war, denn Ishtar, die als Erbin unabhängig und wohlhabend war, konnte nun ohne Einschränkung oder Schaden ihrer Neigung zur naiven Verehrung alkoholischer und männlicher Freuden nachkommen.
Zumindest dachte ich das.
Erst als bereits über ein Jahr verstrichen war, hörte ich wieder von ihr. Sie war zurück in der Stadt und rief mich an. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, wer sie war. Sie war hysterisch.
»Mein Leben ist vorbei«, schrie sie mich an. »Nicht einmal meine Mutter liebt mich mehr. Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte, aber ich bin sicher, daß du schuld daran bist. Hättest du mir nicht diesen Pfefferminz-Shake aufgedrängt, wäre nichts dergleichen je passiert, das weiß ich genau.«
»Aber was ist denn geschehen, meine Liebe?« wollte ich zitternd wissen. Eine Ishtar, die mir grollte, war keine Ishtar, der man sich noch gefahrlos nähern konnte.
»Komm her. Dann zeige ich es dir.«
Meine Neugier wird eines Tages noch mein Untergang sein. Bei diesem Anlaß war sie es beinahe. Denn ich konnte nicht widerstehen, zu ihrer Villa am Stadtrand hinauszugehen. In weiser Voraussicht ließ ich die Vordertür hinter mir offen. Als sie mit einem Schlachtermesser in der Hand auf mich zukam, drehte ich mich um und floh mit einem Tempo, auf das ich in jungen Jahren stolz gewesen wäre. Glücklicherweise war
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