Babel 2 - Dämonenfieber
verfallen wie schon einmal vor vielen Jahren.
Und meine Scham darüber ist alles, was ich im Moment habe.
Aber Tamy schien auch das zu verstehen.
Kein Wunder also, dass Babel seit Tagen dieses Zucken im linken Auge verspürte, das ihr verriet, wie dünn ihr Geduldsfaden tatsächlich geworden war. Und der Gang über den Friedhof machte es auch nicht besser, denn inzwischen beunruhigte sie der Gedanke, an diesem Grab zu stehen.
Das Gefühl verstärkte sich noch, als sie sich der ausgewiesenen Stelle näherte, an der das Begräbnis stattfinden sollte, und lediglich ein einziger Mann in einem grünen Overall zu sehen war. Einen Schritt neben ihm gähnte das dunkle Loch, in dem sie alle irgendwann enden würden. Die Vorstellung deprimierte Babel.
Irritiert warf sie einen Blick auf die Uhr. War sie vielleicht zu früh? Doch sie hatte sich nicht geirrt – die Bestattung hätte schon vor zehn Minuten beginnen sollen, aber außer ihr war niemand hier.
Das war eigenartig. Schließlich hatte Sonja es hervorragend verstanden, mit ihren schwachen magischen Kräften der prominenten und wohlhabenden Klientel Geld aus der Tasche zu ziehen, indem sie den Leichtgläubigen die Karten legte oder ihnen Tränke braute. Sie war eine schöne Frau gewesen, mit roten Locken und Kurven an den richtigen Stellen, eine Frau, die sich zu inszenieren wusste – da hatten sich die Leute gern erzählen lassen, dass sie eine Hexe war.
Mit dem, was Babel tat, besaß das Ganze allerdings wenig Ähnlichkeit.
Dass nun von jenen Leuten kein Einziger zu ihrer Beerdigung kam, um der großen Madame Vendome die letzte Ehre zu erweisen – und dabei gesehen zu werden –, konnte Babel nicht glauben.
Zögernd trat sie auf den Mann im Overall zu, der ihr missmutig entgegensah. Seine Mundwinkel waren so weit nach unten gezogen, dass sie beinahe sein fliehendes Kinn berührten, und die buschigen Augenbrauen trafen sich über der Nasenwurzel. Selbst seine Nase schaffte es irgendwie, Missbilligung auszudrücken.
»Entschuldigen Sie«, sprach Babel ihn an, »ist hier die Beerdigung von Sonja Schubert?«
»Wem?«
»Madame Vendome?«
»Oh, die …« Der Mann schüttelte den Kopf und schmatzte ungehalten. »Wenden Sie sich an die Friedhofsverwaltung, da gabs ein Problem …«
»Ein Problem?«
»Sind Sie Familie?« Seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
»Nein.«
Der Mann blickte sich um wie ein Kind, das weiß, dass es gleich eine Dummheit begehen wird und trotzdem nicht anders kann, dann beugte er sich zu ihr hinüber und flüsterte: »Offenbar ist die Leiche verschwunden.«
»Verschwunden?«
Er nickte. »Ja, ja. Heute Morgen wollten wir den Sarg fürs Krematorium holen, da war er weg. Seitdem ist hier die Hölle los, sag ich Ihnen.« Seine Haltung verriet deutlich, was er davon hielt. »Wenn Sie mich fragen, taucht der Sarg bald wieder auf, ich meine, der kann ja nicht einfach verschwinden, und das Schloss an der Tür war auch in Ordnung.« Er winkte ab. »Den hat keiner geklaut. Wahrscheinlich haben die den bloß noch nicht abgeholt. Da hat einer gepennt.« Er steckte die Hände in die Brusttasche des Overalls, während Babel ihn fassungslos anstarrte.
Nachdem die Staatsanwaltschaft gegen Mikhail Anklage erhoben hatte, war Sonjas Leiche endlich zur Beerdigung freigegeben worden. Offiziell galt die Sache als Raubüberfall mit Todesfolge, über die wahren Hintergründe wurde natürlich nichts bekannt. Dafür hatte Babel gesorgt. Schließlich konnte man den Behörden schlecht erklären, dass Mikhail ein Hexer war, der versucht hatte, mithilfe von Sonjas Totenenergie sein magisches Potenzial zu aktivieren.
»Ich hoffe nur, dass die den Schlamassel bis zum Mittag klären«, unterbrach der Mann ihre Gedanken. »Ich muss auch mal wieder an die Arbeit, die macht sich ja nicht von allein.«
Geistesabwesend nickte sie. Trotz des warmen Wetters fröstelte sie auf einmal, denn ein eigenartiges Gefühl beschlich sie – und es war alles andere als angenehm.
Konnte eine Leiche wirklich verlegt werden? War das nur ein Versehen? Zufall?
Hätte es sich bei dieser Leiche um die alte Großmutter von irgendwem gehandelt, hätte sich Babel vielleicht mit dieser Erklärung abgefunden, aber wenn Hexen im Spiel waren, tat man gut daran, nicht an Zufälle zu glauben.
Doch soweit Babel wusste, war von den in der Stadt ansässigen magisch Aktiven niemand in den Bereichen der Nekromantie unterwegs, obwohl in diesen Ritualen so viel Macht steckte. Das hatte auch seine
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