Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
mich keineswegs in Ihre Erziehungsmethoden einmischen, aber ich halte es für äußerst gefährlich, das Kind weiterhin diesen Dingen auszusetzen. Das kann sich erheblich auf eine so zarte Kinderseele auswirken. Babel hat mir berichtet, dass Sie ihr Reime zum Schutz vor den Toten beibringen.«
»Ja, sie hatte ein paar Probleme mit ihnen. Die Toten fühlen sich von ihr angezogen, sie konnte deswegen nicht schlafen. Aber jetzt ist es besser.«
Die Frau ihr gegenüber lehnte sich nach vorn und hob abwehrend die Hand. »Es ist mir gleichgültig, welchem Glauben Sie angehören. Allerdings möchte ich Sie eindringlich davor warnen, Ihrem Kind solche Sachen zu erzählen, Sie können damit erheblichen Schaden bei Babel anrichten. Ist Ihnen nicht bewusst, welche Verantwortung Sie tragen?«
Ungeduldig schnalzte Maria mit der Zunge und winkte Babel zu sich. »Komm her, Kleine, ich glaube, es wird Zeit zu gehen.«
Zum ersten Mal während des Gesprächs sah Babel auf und schaute ihre Mutter mit dunklen, grauen Augen an. Sie wirkte unsicher, aber nicht ängstlich. Ihr Gesicht erinnerte Maria an die Kinderporträts alter Meister, auf denen die runden Gesichter immer ernst blickten und älter wirkten, als sie waren. Maria konnte die magischen Energien, die Babel umgaben, als Prickeln auf der Haut spüren, und sie sah, wie sich die gelb-roten Schuhe langsam blau färbten, weil Babel unbewusst Magie wirkte. Sie merkte es nicht einmal.
Nach kurzem Zögern kam sie auf Maria zu und stellte sich neben den Stuhl. Ihre Stimme besaß diese merkwürdige Überbetonung, die viele Kinder besitzen, die in einem Chor singen oder versuchen, Erwachsene zu imitieren. Sie sprach deutlich, aber mit der hohen Tonlage eines Kleinkinds.
»In der Küche lebt eine alte Frau … Sie war Köchin, als es noch keinen Fernseher gab, sagt sie … Sie hat die Kinder beobachtet, und manchmal hat sie ihr Schreien nicht mehr ertragen. Dann hat sie ihnen etwas ins Essen getan, und deswegen hat man sie weggesperrt … Und das hat sie ein bisschen verrückt gemacht.« Babel verschluckte sich, so schnell sprach sie.
Die Kindergärtnerin keuchte und starrte Babel entsetzt an, die aber nicht aufhörte zu reden, als wäre plötzlich ein Damm gebrochen, während die Magie um sie herumwirbelte wie eine unsichtbare Sturmwolke.
»Ich hab ihr gesagt, sie soll weggehen, weil ich sie nicht mag, aber sie ist jeden Tag da. Also hab ich den anderen Kindern gesagt, dass sie nicht zu dem Geist gehen sollen, weil sie dann ganz traurig werden. Es drückt immer so hier drin, wenn ich in die Küche gehe.« Babel legte die kurzen Finger auf Marias Muschelanhänger, der zwischen ihren Brüsten baumelte, und Maria konnte spüren, wie die kleine Hand zitterte. »War das schlimm, Mama?«
»Nein, mein Schatz, das hast du richtig gemacht.« Maria strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und streichelte ihr über den Kopf, dann blickte sie zu der anderen Frau, die sie verwirrt betrachtete und ganz offensichtlich nicht wusste, was sie zu dieser grauenvollen Geschichte sagen sollte.
»Da sehen Sie es selbst – Babel erzählt den anderen Kindern immerfort solche Sachen. Kein Wunder, dass sie sich vor ihr fürchten. Ich muss Ihnen wirklich raten, bei Babel …«
Maria unterbrach sie. »Ich glaube, Sie haben vollkommen recht, ich werde sie aus dieser Einrichtung nehmen. Man ist hier offensichtlich überfordert mit einem Kind mit solchen Talenten.« Sie erhob sich und nahm ihr Mädchen auf die Arme. »Es wird Zeit, nach Hause zu gehen.« Ohne auf ein weiteres Wort der Erzieherin zu warten, verließ Maria mit Babel das Büro und trat in den Flur. Nachdrücklich zog sie die Tür hinter sich ins Schloss.
Sie hatte gedacht, es würde Babel guttun, auch mit anderen Kindern Kontakt zu haben, aber ihre besonderen Fähigkeiten trennten sie von einem normalen Leben. Maria hätte zwar die Kindergartenleiterin magisch beeinflussen können, aber sie konnte nicht eine ganze Herde Kinder verzaubern, um ihnen die Angst zu nehmen.
»Was ist mit dem Geist in der Küche, Mama?«, fragte Babel leise und sah ihre Mutter erwartungsvoll an, während ihre Finger mit den dicken Strähnen ihres blonden Haars spielten.
»Keine Bange, mein Schatz, ich kümmere mich darum. Aber zuerst fahren wir heim und schneiden deinen Geburtstagskuchen an. Die Toten können auch noch einen Tag warten.«
Während sie den Gang entlanglief, Babel fest im Arm und quietschendes Linoleum unter den Füßen, fragte sich Maria
Weitere Kostenlose Bücher