Baby-Bingo
nicht wirklich sexy. Und zerstört ein bisschen den Glauben an die Macht des Schicksals. Ich betrachte all diese Hilfsmittel als Carlas intime Welt. So wie ihr Tagebuch mit dem roten Samteinband. Das lässt sie manchmal aus Versehen neben dem Bett liegen. Nie würde ich aber auf die Idee kommen, darin zu lesen. Es sind ihre Mädchengedanken, die nur für sie bestimmt sind.
Und ebenso persönlich ist ihre Medikamentensammlung. Ich will gar nicht wissen, welche Brandbeschleuniger und Manipulationsmittel im Spiel sind. Ich versuche, diese Schwan gerschaftsturbos einfach zu übersehen. Denn die Aussage ist klar. Mit jeder Schachtel ruft Carla mir zu: »Junge, gib dein Bestes! Für den Rest sorge dann ich.«
Bereits vor ihrem Schwangerschaftswunsch war Carla fasziniert von medizinischen Themen. An ihr ist wirklich eine exzellente Ärztin verloren gegangen. Wenn ich nur mal in einem Nebensatz erwähne, dass ich Schmerzen in der Schulter habe, forscht sie tagelang im Internet, wühlt sich durch Chats. Und ihre Diagnosevorschläge reichen von leichten Ver spannungen bis hin zu akuten Vorzeichen eines Herzinfarkts. Bei Krankheiten hat sie oft einen Hang zur Dramatik.
Der Apotheker bei uns um die Ecke ist inzwischen ihr Fan, weil sie mehr Krankheiten kennt als er und sich gegen jedes Wehwehchen mit einer Armada an Mittelchen rüstet. Ich dagegen meide Ärzte und Apotheken nach Möglichkeit. In mir haben die Krankenkassen einen Kunden, an dem sie wirklich noch verdienen. Erkältungen versuche ich mit einem Whiskey zu kurieren, was meistens auch gelingt. Letztlich zählt das positive Ergebnis.
Das positive Ergebnis in Sachen Schwangerschaft lässt bei Carla leider auf sich warten. Und diese regelmäßige Wartezeit von zwei Wochen nervt umso mehr, weil sich plötzlich die ganze Welt dazu verabredet zu haben scheint, das Thema »Kinder« zum dominierenden zu machen. Seit wir uns ent schlossen haben, ganz aktiv ins persönliche Thronfolgerennen einzusteigen, vergeht kein Tag, an dem Carla und ich nicht auf runde Bäuche und süße Winzlinge stoßen – gerne auch mal im Zweierpack.
Und selbst Carlas Pflichtlektüre wie InStyle , BUNTE oder GALA vermeldet synchron: »So viele Baby-Bäuche wie in diesem Sommer gab es selten.« Dazu werden die entsprechenden Fotos gezeigt: mit verzückt lächelnden werdenden Mamas, die auch noch Statements abgeben, die so zuckersüß wie Babybrei sind: »Ich weiß nicht, wie ich zuvor glücklich sein konnte.« Die Hälfte aller weiblichen Hollywoodstars ist offensichtlich gerade schwanger und zeigt das freimütig. Die andere Hälfte möchte es gerne sein und tut alles dafür.
Und Hollywood setzt auch bei diesem Thema wieder mal die Trends: Wollen Carla und ich einen Film sehen, dann haben wir die Wahl zwischen Jennifer Aniston, die sich künst lich befruchten lässt – und das aus Versehen von ihrem besten Freund. Oder Jennifer Lopez, die sich künstlich befruchten lässt – und kurz darauf ihren Traummann trifft. Themen, die vor zehn Jahren für Unterhaltungsfilme noch undenkbar waren.
Im Fernsehen herrscht ebenfalls akuter Schnulleralarm. Selbst weitab des Ki.Ka entkommen Carla und ich nicht dem plötzlich wieder allgegenwärtigen Familienglück. Und in den Werbepausen kaum ein Spot, in dem nicht glückliche Zwerge Mundraub an Papas Schokoladenriegel verüben oder bei der Kaufentscheidung des neuen Familienwagens die Eltern überstimmen. Ganz wie es sich Herbert Grönemeyer gewünscht hat: »Kinder an die Macht«. Längst passiert. Zur Selbstverwirk lichung der Eltern, als Statussymbole und Konsumenten sind Kinder bereits die neue Macht im Lande. Als Kinder selbst sind sie dagegen für viele immer noch Störenfriede, denen man in Restaurants und öffentlichen Verkehrsmitteln besser aus dem Weg geht.
Besonders intensiv bestaunen lässt sich der aktuelle Babyboom plus all seinen Folgeerscheinungen in den deutschen Metropolen. Die Kinderwagendichte erreicht dort immer neue Rekorde. Am Prenzlauer Berg in Berlin werden an sonnigen Sonntagnachmittagen bereits erste Kinderwagenstaus gemeldet. Es ist noch nicht lange her, da war das Statement eines hippen Stadtmenschen der neue Audi. Nun ist es der neue Bugaboo. Oder, wer es edler mag, der chromblitzende Kensington Silver Cross, mit dem auch der Nachwuchs der Royals hinein ins blaublütige Leben geschoben wird.
Dass Kinder die kleinen Könige des Lifestyles sind, zeigt sich auch an der Vielzahl von Kindergeschäften, die überall aus dem Boden
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