Babylons letzter Wächter (German Edition)
könnte ein Niemand von der Straße sein, verwarf ich mittlerweile. Ich musste eine gewisse Rolle spielen. Wusste ich zuviel? Lachhaft. Ich wusste ja nicht mal, wer ich selbst war. Wer war ich also?!
Ein Unruhestifter. Ein Terrorist. Das fehlende Bindeglied zur Geheimformel. Ein menschlicher Code, der Schlüssel zu… denk nicht dran. Oh ja, wie schön es wäre, den Schlüssel zu haben, um aus diesem Gefängnis auszubrechen. Sei still! Schüre dein armes Gehirn nicht mit der Glut der Hoffnung. Erforsche deine Umgebung. Am Ende verraten sie sich vielleicht selbst.
*
Ein normaler Mensch legte sich nach einem Alptraum wieder schlafen, während ich nicht zur Ruhe kommen konnte. Denn diese Alpträume waren real, sie passierten auf Babylons Straßen, jeden Tag. Und wenn für mich der Alptraum beendet war, ging er für sie erst los. Ich wusste, dass ich nur die Spitze des Eisbergs zu Gesicht bekam. Dass Lügen, Intrigen und Niedertracht keinen Schlaf kannten.
Meine Haut juckte und spannte. Ihre Geschichten zerrten an mir. Die Grenzen zwischen Traum und Realität, die für mich ohnehin dünner waren, platzten auf wie faules Fleisch. Ich bekam nässende Wunden. Die Schwestern rieben sie regelmäßig mit einer antiseptischen Salbe ein, doch es wollte sich kein dauerhafter Behandlungserfolg einstellen.
*
Die verfluchten weißen Wände. Der verfluchte weiße Boden. Die verfluchten weißen Laken. Damit wollten sie mich kaputtmachen. Ohne äußere Reizeinflüsse traten irgendwann Weisheit und Visionen auf. Oder man wurde vom Wahnsinn innerlich zerfressen. Sie wussten das. Sonst hätten sie mich nicht hier eingesperrt. Was also planten sie? Wenn sie sich irgendwelche Erkenntnisse von mir erhofften, dann sah es gut aus für meine Überlebenschancen. Wenn nicht, dann war ich einer ganz perfiden Form der Folter ausgesetzt. Sie wollten, dass ich den Verstand verlor. Die Vorstellung, dass sie sich an Bildschirmen labten wie Forscher an einer dummen Maus, die den Weg aus dem Labyrinth nicht heraus fand und kläglich verreckte. Bei derzeitigem Stand konnte ich nicht wissen, ob mein Leid ein öffentliches war oder nicht. Vielleicht lief ich als dreiundzwanzigste Staffel von Big Brother im Kabelfernsehen? Oder wurde im Internet live übertragen?
Es gab nichts zu tun. Ich machte täglich Liegestütze, damit ich nicht an Kraft verlor. Wer rastet, der rostet. Sonst würde ich mich in diesem dämlichen Bett noch wund liegen. Ich war ja kein Kranker. Ich wurde zu einem gemacht. Oder völlig verblöden. Sich von der Langeweile unterkriegen lassen. Sinnentleert, schlimmer als in jedem westlichen Gefängnis. Kein Hofgang, keine Post von Angehörigen. Manchmal erfand ich Zahlenspiele. Ging in meinem Kopf logische Reihen durch. Wenn es gar nicht mehr ging, sah ich auf meine Hände. Ihre rosa Beschaffenheit. Eine Farbe in dieser leeren Zelle. Zählte die Haare auf ihrem Rücken. Einmal hatte ich in die Ecke gepisst, um diesen verdammten Boden zu verdrecken. Das war ein Fest! Gelb, eine neue Farbe!
Auch das führte zu nichts. Es stank eine Stunde lang. Oder länger. Ich hatte mein Zeitgefühl verloren. Dann wurde es kommentarlos von den Schwestern aufgewischt. Keine Uhr, um die Stunden zu messen, die nicht vergehen wollten. Aber am Ende gab es nichts, womit ich mich wirklich dauerhaft ablenken konnte. Denn ich versuchte nur, vor mir selbst zu fliehen und nicht aus diesem Gefängnis. Ich musste fokussieren. Die Träume waren ein Puzzle, das es zu lösen galt. Wahrscheinlich war jeder Mensch ein Sender. Aber nur einige wenige waren Empfänger. Ich konnte mich glücklich schätzen, über eine so leistungsstarke Antenne zu verfügen. Ich würde mich zurücklehnen und den Träumen lauschen, um meine Erinnerungen darin zu suchen.
Peeping Tom
Groupie
Die Pausenglocke schrillte. Klassenzimmertüren sprangen auf wie die Mäuler bei Ebbe erstickender Fische. Die Flut der Schüler spülte durch sie hindurch, drängte auf den Pausenhof. Die Türen wurden wieder geschlossen, und alles war beim alten.
„Haste gesehen, Lindsay hat schon wieder nen Neuen.“
„ Boah, die Schlampe ey.“
„ Die ist doch bestimmt voll ausgeleiert. Letzte Woche war sie doch mit Kenny zusammen.“
„ Der soll voll das Hosenmonster haben. Das weiß ich von Chloe. Die hat ihm auf Logans Party einen geblasen. Danach hatte sie drei Tage Muskelkater in der Fresse.“
„ Voll krass ey.“
„ Sag ich doch. Aber wollte Chloe nicht bis zur Hochzeit
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