Backstage
umdisponieren. Die Pressekonferenz findet im Haus der Kulturen statt. Hier ... hier gab es einen Vorfall. Man fand einen Giftstoff. Das Stadion musste abgesperrt werden. Wir müssen zusehen, dass ... dass ... das Ganze bis zum Wochenende behoben wird.»
«Sie wollen uns wohl verarschen? Wer sind Sie überhaupt? Was ist denn das für eine Scheißorganisation?», keifte Reimann. «Wir haben versucht, Sie noch im Hotel zu erreichen. Und am Flughafen. Ihr Handy war auf Mailbox geschaltet. Es tut uns schrecklich Leid. Der Vorfall ereignete sich erst heute früh. Aber keine Sorge, wir haben das Ganze schon umorganisiert. Man wartet dort auf Sie.»
Melissa lächelte. Gut, dass sie für diesen Mist keine Verantwortung trug. Das hier würde endlose Streitereien nach sich ziehen. Sie beobachtete den tobenden Reimann: Ein Manager, der so rasch die Ruhe verlor? Oder war das kalkulierte Schau?
Braun zog sein Handy heraus, wählte, übergab an Melissa, die Panitz und Lilli, Brauns Freund und die Ehefrau, unterwegs in Richtung Tiergarten, umdirigierte zum Haus der Kulturen. Vom Fußball zur Kunst. Es gab skurrilere Verbindungen.
Reimann telefonierte während der ganzen Fahrt.
Der Konzertveranstalter Brauns hatte in den Tagen zuvor ein Festival in der ehemaligen Kongresshalle organisiert und, kurz entschlossen, «das Ambiente zur geeigneten Location» erklärt. Der Mann hatte sein gesamtes Mitarbeiterteam eingesetzt: Die Konferenz wurde telefonisch umdirigiert. Man organisierte Fahrdienste für die Presseleute - ein überflüssiges Extra, um sie milde zu stimmen -, den Partyservice für ein Buffet, verpflichtete die Techniker des Festivals für einen weiteren Tag, um die Mikrophone zu installieren, und erledigte rasch, was noch anlag.
Der Manager von Hertha lag mit schwerer Grippe im Bett. Melissa fuhr auf die Heerstraße. Schnurgerade, mit einigen Namensänderungen, vorbei an der Siegessäule, würde sie bis in die Nähe des Brandenburger Tores kommen, dorthin, wo sie vor kurzem aufgebrochen war.
Im nordöstlichen Teil des Tiergartens, in der Nähe des Regierungsviertels, stand die so genannte schwangere Auster, ehemals Kongresshalle, in der seit etwa fünfzehn Jahren multikulturelle Veranstaltungen stattfanden. Der Bau war 1980 gleichsam aus innerer Spannung heraus explodiert, ein Teil des Dachs krachte zusammen und wurde erneuert. Eine großzügige Freitreppe mit zwei Teichen, in einem spiegelt sich eine Skulptur von Henry Moore, der Big Butterfly, den Melissa, ansonsten nicht an bildender Kunst interessiert, liebte und öfters besuchte, ein sinnliches Kunstwerk, das einlud, es mit Händen zu erforschen.
Von hier war es nur ein Steinwurf bis zum Kanzlerbunker. Melissa spielte die Fremdenführerin. Die Stars kannten von einer Stadt meist Hotel, Bar, Auftrittsort. Aber vor allem redete und erklärte sie, um den Streit zu unterbrechen, in den sich Braun und Reimann verstrickt hatten; sie mühte sich, die Stimmung zu entspannen.
Es hatte angefangen zu regnen. Heftige Windböen zerstäubten die schweren Regentropfen, trieben feine Wasserschleier vor sich her, der Wind tobte von Nordost, die geschlossene Wolkendecke minderte das Tageslicht, ähnelte dem der Dämmerung.
Das Dach der Kongresshalle schien zu schweben, das Fundament des Hauses in Nebel gehüllt.
Melissa fuhr die Limousine zum Seiteneingang des Hauses, wo schon mehrere Wagen parkten.
Erstaunlicherweise hatten sich auch hier Fans versammelt, ein verlorenes Grüppchen im Regen, das nur verhalten nach Braun rief. Das Dutzend Sicherheitsmänner hatte keine Mühe, ruhig ordneten sich die Nassgeregneten zu einer Linie, die Braun abschritt, Hände drückte, ein Poster bekritzelte, behütet von Melissa mit einem Schirm für zwei. Auch die Sicherheitsleute ließen sich Autogrammkarten geben, die Reimann eifrig verteilte.
Am Eingang erwarteten sie ein Mann aus dem Herthavorstand und der Veranstalter. Sie überschütteten Braun und Reimann mit Entschuldigungen, auf dem Weg zu Garderoben, im Schlepptau Melissa, umschwirrt von Fotografen, die im Pulk auftauchten und sich erst an der Garderobentür abdrängen ließen. «Schaff mir bitte die Leute vom Hals», zischte Braun. Melissa bat die Offiziellen um Verständnis dafür, dass Braun etwas Zeit für sich benötige; das übliche Gerede, um dem Sänger Gelegenheit zu geben, die Kontrolle über seine Wirkung loszulassen, und sei es nur für Minuten.
«In zehn Minuten Beginn», beschwor der Veranstalter. «Ich hole Sie ab.
Weitere Kostenlose Bücher