Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
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1 . Vorwort
D ieses Buch hat eine faszinierende Vorgeschichte. Die Leser meines Buches »Der verkaufte Patient« werden sich an die spannenden Monate im Jahr 2008 erinnern, als in Bayern Patienten im Schulterschluss mit den Ärzten den Aufstand probten und sich der Protest auf ganz Deutschland ausweitete. Es ging um die vereinigte Kungelkoalition der sogenannten »Gesundheitsreformer«. Ein paar Großkopfete, wie man bei uns in Bayern sagt, hatten unter sich ausgemacht, wie »Gesundheit« in Deutschland in Zukunft läuft. Sie hatten sich von allen demokratischen Spielregeln verabschiedet und ein Szenario entwickelt, bei dem zwei Dinge klar waren. 1. Wer zahlt. 2. Wer daran verdient. Die Vorlage aller Veränderungen war in Amerika entstanden. In Deutschland sollte das Ding nur noch durchgezogen werden, unter Beteiligung einer gemischten Strippenziehertruppe aus Politik, Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen ( KV ) und Vertretern der Pharma- und Medizinindustrie. Die Gesundheitsmafia hatte die Rechnung ohne uns Patienten gemacht. Wir waren den Plänen auf die Schliche gekommen und nicht mehr bereit, uns wie das Schlachtvieh zur Kasse treiben zu lassen. Die Losung lautete: Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse!
Meine verrückte Idee, das den politischen Entscheidungsträgern über eine Großveranstaltung klarzumachen, verwirklichte sich am 7. Juni 2008. Ich hatte kurzerhand das Olympiastadion in München gemietet, fand aber für diese Idee am Anfang nur Mitstreiter bei den bayerischen Hausärzten. Meine Überzeugung, es ist machbar, die Leute zu mobilisieren, steckte an. Und von Tag zu Tag kamen mehr, die sagten: Wir sind dabei! In der Sache hatte ich absolute Gewissheit gewonnen. Aufgrund meiner Recherchen zu dem Buch »Der verkaufte Patient« war mir seit 2007 sonnenklar, was in Berlin unter »Gesundheitsreform« verstanden wurde: An den Tischen der Macht wurde mit einem Heer von Lobbyisten um die Verteilung des großen Geldes regelrecht gepokert. Der Gesundheitsetat, dieser gewaltigste Posten im Staatshaushalt, erweckte eine so brachiale kollektive Begehrlichkeit, dass das bescheidene Handzeichen der Patienten (»Hallo, ihr in der Politik, sind unsere Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung nicht dafür da, das Gesundheitssystem im Fall einer Erkrankung für Patient und Arzt abzusichern?«) vollkommen übersehen wurde. Wie heißt es in der themenzentrierten Interaktion? »Störungen haben Vorrang!« Also: Auf ins Olympiastadion! Und da sollten nicht nur die Patienten hin, sondern auch die Ärzte, Schwestern, Pfleger und sonstigen Heilberufe – im Grunde alle beim Gesundheitspoker Betrogenen. Es dauerte aber eine Weile, bis auch die Letzten (Ärzte beispielsweise) verstanden hatten, dass sie nicht mit am Pokertisch saßen, an dem die Pläne für den Umbau Gesundheitswesen entstanden. Dafür brachten sie einfach nicht genug Gewicht auf die Waage. Ihr Gezeter wurde belächelt, ihre Einsprüche abgetan, ihre Forderungen trickreich umgangen oder in Hinsicht auf den nächsten Wahltermin nur scheinbar erfüllt. Meine bis heute anhaltende Vision, Ärzte, Patienten und alle in medizinischen Berufen Tätigen im Schulterschluss gegen dieses Pokerspiel um Macht und Geld zusammenzuführen, verwirklichte sich zum ersten Mal an diesem (für mich geschichtsträchtigen) 7. Juni 2008. Immerhin geht es im Gesundheitswesen jährlich um inzwischen ca. 250 Milliarden Euro, die auf dem Pokertisch liegen.
Das Wunder geschah: 28 000 Menschen strömten an diesem wolkenverhangenen Samstag Richtung München. Über 300 Busse blockierten den Mittleren Ring, und die im Olympiastadion gehaltenen Reden hatten eine klare und unmissverständliche Botschaft. Wir kämpften zunächst einmal – die Wahrheit ist konkret (Brecht) – um den Erhalt unserer Arztpraxen vor Ort. Doch es ging und geht natürlich um viel mehr. Ein humanes, gerechtes Gesundheitswesen stand und steht zur Disposition. Man täusche sich nicht: Der Krake ist aktiv! Stück für Stück wird die Privatisierung im Gesundheitswesen vorangetrieben, als griffen eiserne Zahnräder ineinander, als wäre diese Mechanik ein Schicksal, zu dem es keine Alternative gäbe. Aus dem Gesundheitsministerium wurden meine Vorwürfe, sich den amerikanischen Vorgaben zu beugen, ja sich diesem horrenden System geradezu anzubiedern, als wäre die Gesundheit dort noch einmal erfunden worden, mit dem Wort »Verschwörungstheorie« als Versuch des Vertuschens abgetan.
Was
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