Bädersterben: Kriminalroman
Situation vergessen, als auf dieser Fahrt zu einem wichtigen Geschäftstermin mit der Bahn in dem übervollen Großraumwaggon, in dem alle notgedrungen ihren Platz einbehalten mussten, eine Mutter ihrem Zögling eine Flötenlektion erteilte. Die nervenaufreibende, unbeschreiblich hohe Quote der Fehltöne des kleinen Rackers überschattete anschließend die gesamten Verhandlungen mit seinen Geschäftspartnern, und wegen seiner schlechten Stimmung platzte der Deal seinerzeit. Vielleicht wäre das Geschäft eine Nummer zu groß für ihn gewesen, aber vor der Internetblase an der Börse war ja noch alles möglich.
Nein, hier in der ersten Klasse war er schon gut aufgehoben. In eine solche Situation wie damals wollte er sich nicht wieder begeben, schon gar nicht auf einer Schnellfähre mit überforderten Binnenländlern, die sich bisher in ihrem Leben höchstens einmal leicht verstrahlt beim Bierchen in Barkassen unter den Fleetbrücken durchkutschieren ließen.
Das Willkomm-Höft in Wedel näherte sich, und am Mast der Schiffsbegrüßungsanlage wurde die deutsche Flagge hochgezogen. Sicherlich wurde auch die Nationalhymne gespielt und die Passagiere begrüßt, aber in der schallgedämpften Komfort-Klasse war nur dezente Barmusik zu vernehmen. Der Katamaran verringerte seine Geschwindigkeit, und wenig später wurden am Anleger einige Passagiere aufgenommen. Sie legten ab, aber erst, als sie den Wedeler Yachthafen passierten, nahm das Zweirumpfboot wieder volle Fahrt auf.
Die folgenden Elborte, die fast an ihm vorbeiflogen, konnte er nur noch anhand der Flusskarte identifizieren, die jetzt auf dem Bildschirm eingeblendet wurde. An den Deichen zeugten oft lediglich Leuchttürme oder Fähranleger von den dahinter liegenden Orten. Die Atomkraftwerke in Stade und Brokdorf, die dicht an den Fluss gebaut waren, um Wasser zur Kühlung entnehmen zu können, stachen dagegen als mächtige Landmale aus der ländlichen Uferkulisse hervor.
Immer mehr verbreiterte sich der Fluss, und notgedrungen schipperte der Kapitän der mäandrierenden Schiffsrinne der Elbe folgend den Katamaran sanft von der einen Uferseite zur anderen, was bei dem Genuss eines Latte Macchiato nicht unangenehm war. Heute hatte er alles richtig gemacht. Das Wetter würde sich schon noch bessern, wenn sie erst einmal auf der freien See wären. Olli freute sich richtig auf Helgoland, denn normalerweise kam er dort nicht hin. Auch auf das Treffen mit Stuhr war er gespannt. Zwar gab es meistens irgendwelche Komplikationen, wenn sie zusammentrafen, aber das war dieses Mal nicht zu erwarten.
Die Elbe weitete die Kluft zwischen den Ufern immer mehr, und bei dem gleichförmigen Anblick der immer entfernter vorbeigleitenden Uferlandschaft duselte Olli selig ein.
12 Seeräuber
Bevor Stuhr aussteigen konnte, drehte sich der Pilot zu ihm und seiner Begleiterin um.
»Verflixt. Ausgerechnet jetzt meldet Helgoland, dass Flughafen Düne mehr oder weniger frei ist. Also los, das sollte schnell gehen, der Vogel ist ja jetzt leichter.«
Anna Maria Rasmussen löste ihren Arm von Stuhr. Sie schien unentschlossen zu sein, ob sie sitzen bleiben oder die Maschine verlassen sollte. Als Feigling wollte Stuhr nicht gelten. So schnallte er sich nicht ab, sondern hakte sich seinerseits bei ihr ein, um ihr deutlich zu machen, dass er nicht weichen würde.
Wenig später befanden sie sich wieder, in undurchsichtigen weißen Nebel eingehüllt, hoch in der Luft, als wenn es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre.
Wieder döste er ein, bis ihn die plötzliche Schieflage des Fliegers hochschrecken ließ. Der Pilot zeigte wortlos mit dem Zeigefinger seitlich nach unten. Tatsächlich, da reckte sich ihnen zwischen Nebelschwaden für kurze Zeit das Wahrzeichen von Helgoland entgegen, die Lange Anna, ein Solitär aus Buntsandstein, der nur noch durch eine hässliche Betonplombe am unteren Ende aus dem letzten Jahrhundert in der Lage war, als erstes Stück Fels nach England den Weststürmen zu trotzen.
Als Flugunkundiger konnte Stuhr nur vermuten, dass der Pilot die Hauptinsel deswegen von Westen angeflogen hatte, um eine Lücke zwischen den vom Wind getriebenen Seenebelbänken zu finden und so die Situation auf dem Flughafen Düne erkunden zu können. Tatsächlich war wenig später auf der noch kleineren flachen Nebeninsel das spitze Kreuz der beiden kurzen Landebahnen gut erkennbar, und der Pilot eierte mit seiner Kiste genau darauf zu. Immer wieder fand er ein Loch zwischen den
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