Bädersterben: Kriminalroman
viel zu erkennen sein. Stuhr blieb nichts übrig, als dem Kommissar Glück zu wünschen.
23 Alte Liebe
Der Blick auf den breiten Strom brachte Kommissar Hansen ins Grübeln, denn immer wieder hatte die Elbe in seinem Leben Schicksal gespielt. Als Polizeischüler musste er seinerzeit das Atomkraftwerk Brokdorf gegen Demonstranten aus der ganzen Republik verteidigen. Im Deutschen Herbst war er zum Personenschutz für Helmut Schmidt in Hamburg abgestellt worden. Dieser war ein geradliniger Politiker, der vermutlich nur in der falschen Partei untergekommen war. Das einzig Unangenehme an Schmidt war sein ständiges Gequarze, und deswegen war er öfter auf der Suche nach frischer Luft an die Landungsbrücken nach St. Pauli geflüchtet. Richtige Seeluft kann man in Hamburg nicht atmen, denn die Stadt liegt eigentlich im Binnenland. Die Elbe bildet die Lebensader der Stadt zur Nordsee hin, und bis zur Mündung bei Cuxhaven sind es immerhin mehr als 100 Kilometer.
Nun stand er hier auf dem zweistöckigen Betonbau auf der Alten Liebe, der stromseitigen Begrenzung des Cuxhavener Hafens zum Elbfahrwasser hin, und verfolgte die ein- und auslaufenden Schiffe. Bei Sonnenschein wie heute war das ein feiner Zeitvertreib, denn bedingt durch den Verlauf der schmalen Fahrrinne in der Elbmündung mussten die Pötte ganz dicht an der Alten Liebe vorbeifahren, bevor sie sich in die Weite der Nordsee begeben konnten.
Als er einst genau an dieser Stelle seiner Frau den Verlobungsring angesteckt und um ihre Hand angehalten hatte, herrschte ziemlich kaltes und stürmisches Regenwetter. Er konnte sich noch genau an die leeren Gesichter der Seeleute an den Relingen vor den beleuchteten Kajütgängen erinnern, die auf den voll beladenen Schiffen unter mächtigem Dampf an ihnen vorbeizogen. Er hatte sie bedauert, denn nach diesem letzten warmen Moment unter Land würden sie sich vermutlich wochenlang auf hoher See befinden, was bei ungemütlichem Wetter kein Vergnügen sein konnte.
Im Nachhinein gesehen war seine Ehe aber auch nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig gewesen. Gut, der steuerliche Splittingvorteil kam ihm damals sehr gelegen, um sich gemeinsam mit seiner Frau eine eigene Wohnung leisten zu können. Zum Glück hatten sie sich früh entschieden, auf Nachwuchs zu verzichten. Aber war er nicht auch irgendwie ein einsamer Seemann geworden? Schön war es zwar, abends nach Hause zu kommen. Aber jeden Morgen war er auch wieder froh, in den Dienst gehen zu können. Wie ging es seiner Frau eigentlich den ganzen Tag? War sie froh, dass er weg war? Warum wollte sie nie wissen, was er tagsüber gemacht hatte? Vielleicht sollte er einfach mal nachfragen. Aber Unterhaltungen mit seiner Frau konnten auch schnell umschlagen. Zu ihrem nächsten Geburtstag würde er sie in das beste Restaurant in Kiel einladen, und dann würde er das Gespräch mit ihr suchen. Eigentlich wusste er überhaupt nicht, ob sie zufrieden war. Hansen erschrak, als er von der Seite angesprochen wurde. »Kommissar Hansen, vermute ich? Ich bin Kommissar Ten Hoff, Polizeiinspektion Cuxhaven, Fachkommissariat 1 . Ich grüße Sie herzlich. Welcome in Cuxhaven.«
Sofort erkannte Hansen die markante Stimme Ten Hoffs mit den Anglizismen von ihrem gestrigen Telefonat wieder und reichte ihm die Hand. »Moin. Ist ja kein besonders schöner Anlass, zu dem wir uns heute treffen, Herr Kollege.«
Kommissar Ten Hoff spielte das herunter. »Bullshit, was meinen Sie, wie viele Tränen von Angehörigen der Auswanderer und Seemannsbräute an diesem Ort schon geflossen sind? Da kommt es auf die eine oder andere auch nicht mehr an. Übrigens war der Tote nicht besonders beliebt, also wird sich der Tränenstrom in Grenzen halten.«
Hansen konnte sich ein schiefes Grinsen nicht verkneifen. »Sie sehen das aber äußerst gelassen. Haben Sie denn kein Mitleid mit dem Opfer?«
»Ach was. Wissen Sie, wir leben in unserem Beruf doch irgendwie davon, dass immer wieder Teile der Menschheit sich gegenseitig die Köpfe einschlagen.«
Das war natürlich nicht zu verneinen, und so kam Hansen direkt zur Sache. »Schädelbruch als Todesursache? Ich dachte, der Tote wäre unter Wasser von einem anlegenden Schiff zerquetscht worden? Ihre Polizeiinspektion konnte schließlich anfangs einen Unfall nicht gänzlich ausschließen.«
Kommissar Ten Hoff drehte sich um und wies auf den Seitenanleger, der vom Pfahlbau aus gut zu erkennen war. »That’s right. Ein Unfall war unsere erste Vermutung. Schauen
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